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Der Traum

Der Traum

Titel: Der Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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antwortete nur mit einem Kopfnicken, in dem die ganze Kraft und Einfachheit ihres Herzens lag.
    »Aber du sagtest es selber, das arme liebe Mädchen wird daran sterben ... Willst du denn seinen Tod?«
    »Ja, lieber seinen Tod als ein elendes Leben.«
    Er hatte sich bebend wieder aufgerichtet, und er flüchtete sich in ihre Arme, und sie schluchzten beide. Lange hielten sie sich umschlungen. Er unterwarf sich; nun mußte sie sich an seine Schulter lehnen, um wieder genügend Mut zu finden. Sie gingen verzweifelt und gefaßt aus dieser Umarmung hervor, eingeschlossen in ein tiefes, ergreifendes Schweigen, mit dem sie, so Gott wollte, in den Tod des Kindes einwilligten.
    Von diesem Tage an mußte Angélique in ihrem Zimmer bleiben. Sie war so schwach, daß sie nicht in die Werkstatt hinuntergehen konnte: sofort wurde ihr schwindlig, versagten die Beine ihr den Dienst. Zunächst ging sie, wanderte sie, sich an den Möbeln festhaltend, bis zum Balkon. Dann mußte sie sich damit begnügen, nur noch von ihrem Bett bis zu ihrem Sessel zu gehen. Der Weg war lang, sie wagte ihn nur am Morgen und am Abend und war jedesmal erschöpft. Trotzdem arbeitete sie noch immer, gab jedoch die zu schwere Reliefstickerei auf und stickte Blumen in schattierten Seiden; und sie stickte sie nach der Natur, nach einem Strauß nichtduftender Blüten, die sie nicht aufregten, Hortensien und Stockrosen. Der Strauß blühte in einer Vase, oft ruhte sie sich lange aus und schaute ihn dabei an, denn die Seide, so leicht sie auch war, wog schwer in ihren Fingern. In zwei Tagen hatte sie nur eine Rose gestickt, die ganz frisch auf dem Atlas strahlte, doch diese Arbeit war ihr Leben, bis zum letzten Atemzug würde sie die Nadel halten. Verzehrt durch das Leid, noch schmaler geworden, war sie nur noch eine reine und sehr schöne Flamme.
    Wozu noch weiterkämpfen, da Félicien sie nicht liebte? Jetzt würde sie an dieser Überzeugung sterben: er liebte sie nicht, vielleicht hatte er sie niemals geliebt. Solange sie Kräfte gehabt, hatte sie gegen ihr Herz, ihre Gesundheit, ihre Jugend angekämpft, die sie dazu trieben, zu ihm zu laufen. Seit sie an ihr Zimmer gefesselt war, mußte sie sich damit abfinden, es war zu Ende.
    Als Hubert sie eines Morgens in ihren Sessel setzte und ihre bewegungsunfähigen kleinen Füße auf ein Kissen stellte, sagte sie mit einem Lächeln:
    »Ach, ich bin ganz sicher, daß ich jetzt vernünftig bin und nicht fortlaufe.«
    Hubert ging eiligst nach unten, denn ihm schnürte es die Kehle zu, und er fürchtete in Tränen auszubrechen.
     

Kapitel XII
    In dieser Nacht konnte Angélique nicht schlafen. Trotz ihrer übergroßen Schwäche lag sie schlaflos da mit glühendheißen Lidern; und als die Huberts zu Bett gegangen waren und es bald Mitternacht schlagen mußte, zog sie es trotz der ungeheuren Anstrengung vor, wieder aufzustehen, weil sie Angst hatte, sterben zu müssen, wenn sie noch länger im Bett bliebe.
    Sie rang nach Luft, sie zog einen Morgenrock über, schleppte sich bis zum Fenster, das sie weit öffnete. Der Winter war regnerisch, feucht und milde. Dann ließ sie sich in ihren Sessel sinken, nachdem sie den Docht der Lampe hochgeschraubt hatte, die man die ganze Nacht über auf dem Tischchen vor ihr brennen ließ. Dort stand neben dem Band der »Legenda aurea« der Stockrosen und Hortensienstrauß, den sie nachbildete. Und in der Hoffnung, in der Arbeit einen Halt zu finden und sich am Leben festzuklammern, zog sie ihren Stickrahmen heran, machte mit ihren fahrigen Händen ein paar Stiche. Die rote Seide einer Rose blutete zwischen ihren weißen Fingern, es schien, als sei es das Blut aus ihren Adern, das Tropfen um Tropfen verrann.
    Obwohl sie sich seit zwei Stunden vergeblich in ihren brennendheißen Bettüchern gewälzt hatte, wurde sie, sobald sie saß, fast sofort vom Schlaf überwältigt. Ihr Kopf fiel hintenüber, wurde von der Rücklehne gestützt und neigte sich ein wenig auf die rechte Schulter; und da die Seide in ihren reglosen Händen geblieben war, hätte man meinen können, sie arbeite noch. Ganz weiß sah sie aus, ganz ruhig schlief sie unter der Lampe in dem Zimmer, das friedvoll und weiß war wie eine Grabkammer. Und das Licht ließ das große, mit seiner verblichenen rosa Leinwand ausgeschlagene königliche Bett bleich erscheinen. Allein die Truhe, der Schrank, die Stühle aus altem Eichenholz hoben sich ab, bildeten Trauerflecke an den Wänden. Minuten verstrichen, sie schlief ganz ruhig und sah

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