Der Traum
weißen Luft, wie von einem weißen Atem erfüllt.
Etwas in ihr wankte, und sie mußte sich auf die Rückenlehne eines Sessels stützen.
»Was haben Sie?« fragte Félicien besorgt.
Sie antwortete nicht, sie atmete mühsam. Wieder überlief sie ein Schauer, schon versagten ihr die Beine, und sie mußte sich setzen.
»Seien Sie unbesorgt, es ist nichts ... Nur einen Augenblick Ruhe, und wir gehen fort.«
Sie schwiegen beide.
Angélique schaute ins Zimmer, als hätte sie dort etwas Kostbares vergessen, das sie nicht hätte benennen können. Es war ein Bedauern, ein zunächst leichtes Bedauern, das dann jedoch stärker wurde und ihr nach und nach die Brust zusammenschnürte. Sie erinnerte sich nicht mehr. War es all dieses Weiß, von dem sie nicht loskam? Immer hatte sie das Weiß geliebt, so daß sie sogar Restchen weißer Seide entwendete, um sich im geheimen daran zu erfreuen.
»Einen Augenblick, einen Augenblick noch, und wir gehen, mein teurer Gebieter.«
Doch sie machte nicht einmal mehr eine Anstrengung, sich zu erheben.
Ängstlich hatte er sich wieder vor ihr auf die Knie niedergelassen.
»Tut Ihnen etwas weh? Kann ich nichts zu Ihrer Erleichterung tun? Wenn Sie frieren, werde ich Ihre Füßchen in meine Hände nehmen und sie wärmen, bis sie kräftig genug sind zu laufen.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, nein, ich friere nicht, ich werde gleich wieder gehen können ... Warten Sie einen Augenblick, einen einzigen Augenblick.«
Er sah wohl, daß unsichtbare Ketten ihre Glieder fesselten, sie dort wieder so stark banden, daß es ihm vielleicht schon in einem Augenblick unmöglich sein würde, sie davon loszureißen. Und er dachte an den unausweichlichen Kampf mit seinem Vater am nächsten Tage, wenn er sie nicht sogleich mitnähme, an diesen Bruch, vor dem er seit Wochen zurückschreckte. Da drang er mit leidenschaftlichem Flehen in sie.
»Kommen Sie, die Straßen sind dunkel zu dieser Stunde, der Wagen wird uns in die Finsternis entführen; und wir werden wie gewiegt fahren, immerfort, immerfort, einer in des anderen Arm schlafend, gleichsam eingekuschelt in ein Daunenbett, so daß wir die Kühle der Nacht nicht zu fürchten brauchen; und wenn der Tag anbricht, fahren wir im Sonnenschein weiter, weiter und immer weiter, bis wir in das Land kommen, wo man glücklich ist ... Niemand wird uns kennen, wir werden tief in irgendeinem großen Garten verborgen leben und keine andere Sorge haben als die, uns an jedem neuen Tag nur noch mehr zu lieben. Dort werden Blumen wachsen, wie Bäume so groß, Früchte süßer als Honig. Und wir werden nichts zum Leben brauchen in diesem ewigen Frühling, wir werden von unseren Küssen leben, meine teure Seele.«
Sie erschauerte unter dieser brennendheißen Liebe, mit der er ihr das Antlitz wärmte. Ihr ganzes Wesen verging beim schmeichelnden Hauch der verheißenen Freuden.
»Oh, noch einen Augenblick, gleich!«
»Wenn wir dann des Reisens müde sind, kehren wir hierher zurück, richten wir die Mauern der Burg Hautecœur wieder auf und leben dort bis ans Ende unserer Tage. Das ist mein Traum ... Unser ganzes Vermögen wird, wenn es sein muß, mit vollen Händen dafür ausgegeben. Von neuem wird der Bergfried über die beiden Täler aufragen. Wir werden die Ehrengemächer zwischen dem Davidsturm und dem Turm Karls des Großen bewohnen. Der Koloß wird ganz und gar wiederhergestellt werden wie in den Tagen seiner Macht, die Wälle, die Gebäude, die Kapelle, in der barbarischen Pracht von einst ... Und ich will, daß wir dort ein Leben führen wie in alter Zeit, Sie als Prinzessin und ich als Prinz, inmitten eines Gefolges von Kriegern und Pagen. Unsere fünfzehn Fuß dicken Mauern werden uns abschirmen, wir werden wie im Märchen leben ... Die Sonne versinkt hinter den Hügeln, wir kehren auf großen weißen Rössern zwischen den ehrfürchtig knienden Dorfbewohnern von einer Jagd zurück. Das Horn ertönt, die Zugbrücke geht nieder. Am Abend sitzen Könige an unserer Tafel. Unser Nachtlager steht erhöht, ist gleich einem Thron von einem Baldachin überdacht. Sehr liebliche Musik ertönt in der Ferne, während wir in Purpur und Gold einer im Arm des anderen einschlummern.«
Bebend lächelte sie jetzt in stolzer Freude, bestürmt von einem Weh, das wiederkehrte, über sie herfiel und das Lächeln ihres schmerzumspielten Mundes auslöschte. Und als sie mit einer mechanischen Bewegung die verlockenden Traumbilder beiseite schob, verdoppelte er seine Glut, suchte
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