Der Traum
hörte.
Unten in der Werkstatt gab es eine Auseinandersetzung. Hubertine hatte gerade ihren Hut abgenommen, und sogleich sagte er ihr, daß er das Kind dort vom Boden aufgehoben habe, daß es, zu Tode getroffen, in seinem Bett schlummere.
»Wir haben uns getäuscht. Sie denkt noch immer an diesen jungen Mann, und sie stirbt daran ... Ach, wenn du wüßtest, was für einen Schlag mir das versetzt hat, was für Gewissensbisse mich peinigen, seit ich das begriffen und seit ich sie in einem so erbarmungswürdigen Zustand dort hinaufgetragen habe! Es ist unsere Schuld, wir haben sie durch Lügen voneinander getrennt ... Was? Du würdest sie leiden lassen, du würdest nichts sagen, um sie zu retten?«
Hubertine schwieg wie Angélique und sah ihn in ihrer besonnenen vornehmen Art an, ganz bleich vor Kummer.
Und er, der Leidenschaftliche, den diese schmerzerfüllte Leidenschaft aus seiner gewohnten Ergebenheit warf, konnte sich nicht beruhigen und bewegte aufgeregt seine fiebernden Hände.
»Na gut! Ich werde reden, ich, ich werde ihr sagen, daß Félicien sie liebt, daß wir die Grausamkeit besessen, ihn am Wiederkommen zu hindern, indem wir auch ihn getäuscht haben ... Jede ihrer Tränen wird mir jetzt das Herz verbrennen. Es wäre ein Mord, an dem ich mich mitschuldig fühlen würde ... Ich will, daß sie glücklich wird, jawohl, trotzdem glücklich, alle Mittel dazu sind recht ...« Er war nahe an seine Frau herangetreten, er wagte es, seine empörte Liebe hinauszuschreien, wurde immer gereizter durch das traurige Schweigen, das sie wahrte. »Da sie sich nun einmal lieben, steht ihnen das auch frei ... Es gibt nichts Höheres, als zu lieben und geliebt zu werden ... Ja, alle Mittel dazu sind recht, denn das Glück ist im Recht.«
Endlich sprach Hubertine, die reglos dastand, mit ihrer langsamen Stimme:
»Damit er sie uns wegnimmt, nicht wahr? Damit er sie heiratet, gegen unseren Willen, gegen den Willen seines Vaters ... Das rätst du ihnen, und du glaubst, daß sie dann glücklich sein werden, daß die Liebe genügen wird ...« Und ohne Übergang fuhr sie mit derselben herzzerreißenden Stimme fort: »Auf dem Heimweg bin ich am Friedhof vorbeigegangen, ein Gefühl der Hoffnung bewog mich, noch einmal zu dem Grab zu gehen ... Ich bin wieder einmal niedergekniet an jener von unseren Knien abgenutzten Stelle, und ich habe dort lange gebetet.«
Hubert war erbleicht, eine große Kälte nahm sein Fieber von ihm. Gewiß, er kannte das Grab der starrköpfigen Mutter, zu dem sie so oft gegangen, um zu weinen, sich ihres Ungehorsams anzuklagen und sich zu unterwerfen, damit die Tote ihnen aus der Tiefe der Erde Gnade widerfahren lasse. Und sie verharrten dort stundenlang in der Gewißheit, daß sie es spüren würden, wie diese Gnade in ihnen erblühte, falls sie ihnen jemals gewährt werden sollte. Was sie erbaten, worauf sie warteten, das war noch ein Kind, das Kind der Vergebung, das einzige Zeichen, bei dem sie wüßten, daß ihnen endlich vergeben war. Doch nichts war gekommen, die kalte, taube Mutter überließ sie der unerbittlichen Strafe, dem Tode ihres ersten Kindes, das sie genommen und fortgetragen und ihnen nimmermehr wiedergegeben hatte.
»Ich habe lange gebetet«, wiederholte Hubertine, »ich lauschte, ob sich nichts rege ...«
Angstvoll befragte Hubert sie mit dem Blick.
»Und nichts, nein, nichts ist aus der Erde aufgestiegen, nichts hat in mir gebebt. Ach, es ist vorbei, es ist zu spät, wir haben unser Unglück gewollt.«
Da zitterte er und fragte:
»Du gibst mir die Schuld?«
»Ja, du bist schuldig, und auch ich habe Schuld auf mich geladen, als ich dir folgte ... Wir waren ungehorsam, unser ganzes Leben ist dadurch verdorben.«
»Und du bist nicht glücklich?«
»Nein, ich bin nicht glücklich ... Eine Frau, die kein Kind hat, ist nicht glücklich ... Lieben bedeutet nichts, die Liebe muß gesegnet sein.«
Er war erschöpft auf einen Stuhl gesunken, die Augen voller Tränen.
Niemals hatte sie ihm so die unverheilte Wunde ihres Lebens zum Vorwurf gemacht; und sie, die sonst so schnell einlenkte und ihn tröstete, wenn sie ihn mit einer ungewollten Anspielung verletzt hatte, sah dieses Mal zu, wie er litt, stand immer noch da, machte nicht eine Bewegung, nicht einen Schritt auf ihn zu.
Er weinte, er schrie unter Tränen:
»Ach! Du verdammst das liebe Kind da oben ... Du willst nicht, daß er Angélique heiratet, wie ich dich geheiratet habe, und daß sie leidet, was du gelitten hast.«
Sie
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