Der Traum
Fräulein getroffen, ich dachte, Sie hätten dem Bischof gehorcht.«
»Nein, ich habe gewartet. Aber ich bin feige gewesen, ich habe vor meinem Vater gezittert.«
Schweigen trat ein.
Angélique hatte sich wieder aufgerichtet. Ihr Gesicht wurde hart, die Stirn war von einer Zornesfalte durchschnitten.
»Dann hat man uns beide getäuscht, man hat uns belogen, um uns zu trennen ... Wir liebten uns, und man hat uns gequält, man hat uns beide fast getötet ... Nun, das ist erbärmlich, das entbindet uns von allen unseren Schwüren. Wir sind frei.«
In wilder Verachtung war sie aufgesprungen. Sie fühlte ihre Krankheit nicht mehr, ihre Kräfte kehrten zurück bei diesem Erwachen ihrer Leidenschaft und ihres Stolzes. Sie hatte ihren Traum für tot gehalten, und nun sah sie ihn plötzlich lebendig und strahlend wieder vor sich! Sie konnten sich sagen, daß sie sich an ihrer Liebe nicht versündigt hatten, daß die Schuldigen die anderen waren! Dieses Hinauswachsen über sich selbst, dieser endlich sichere Triumph versetzten sie in Verzückung, stürzten sie in höchste Empörung.
»Fort von hier!« sagte sie nur.
Und mutig schritt sie mit all ihrer Energie und Willenskraft durch das Zimmer. Schon wählte sie einen Mantel aus, um sich damit die Schultern zu bedecken. Ein Spitzentuch auf dem Kopf würde genügen.
Félicien hatte vor Glück aufgeschrien, denn sie kam seinem Wunsch zuvor, er hatte nichts anderes im Sinn als diese Flucht, ohne die Kühnheit zu finden, sie ihr vorzuschlagen. Oh, zusammen fortgehen, verschwinden, allem Verdruß, allen Hindernissen kurz ein Ende machen! Und das sogleich, indem sie sogar den Kampf des Nachdenkens vermieden!
»Ja, sofort, wir wollen gehen, teure Seele. Ich kam Sie holen, ich weiß, wo wir einen Wagen finden. Vor Tagesanbruch sind wir weit fort, so weit fort, daß uns niemals jemand mehr einholen kann.«
In wachsender Erregung riß Angélique Schubfächer auf, stieß sie heftig wieder zu, ohne etwas herauszunehmen. Wie! Sie quälte sich seit Wochen, sie hatte sich bemüht, ihn aus ihrem Gedächtnis zu vertreiben, sie glaubte sogar, es sei ihr gelungen! Und alles war fehlgeschlagen, und diese entsetzliche Anstrengung sollte von neuem unternommen werden! Nein, niemals würde sie die Kraft dazu haben. Da sie sich liebten, war alles ganz einfach: sie heirateten, und keine Macht würde sie mehr auseinanderbringen.
»Was soll ich denn nun mitnehmen? – Ach, ich war töricht mit meinen kindlichen Bedenken! Wenn ich daran denke, daß die andern sich soweit erniedrigt haben, uns anzulügen! Ja, ich hätte ruhig sterben können, und sie hätten Sie nicht gerufen ... Muß ich Wäsche und Kleider mitnehmen, was meinen Sie? Hier ist ein wärmeres Kleid ... Und sie hatten mir einen Haufen Gedanken, einen Haufen Ängste in den Kopf gesetzt. Das eine ist das Gute, das andere ist das Böse, das eine darf man tun, das andere darf man nicht tun, verwickelte Dinge, die einen ganz blöde machen können. Sie lügen immer, das ist alles nicht wahr: es gibt weder gut noch böse, es gibt nur das Glück, zu leben und den zu lieben, der einen liebt ... Sie sind das Glück, die Schönheit, die Jugend, mein teurer Gebieter, und ich schenke mich Ihnen für alle Ewigkeit, ganz und gar, meine einzige Freude ist in Ihnen beschlossen, so tun Sie mit mir, was Ihnen gefällt.«
Sie triumphierte in einem Aufflammen aller ererbten Leidenschaftsfeuer, die man bei ihr für erloschen hielt. Musik berauschte sie; sie sah ihren königlichen Aufbruch, sah, wie dieser Fürstensohn sie entführte, sie zur Königin eines fernen Königreiches machte; und sie würde mit ihm gehen, an seinem Halse hängen, an seine Brust gebettet, in einem solchen Erschauern unwissender Leidenschaft, daß ihr ganzer Leib vor Freude darüber alle Kraft verlor. Nur noch zu zweit sein, sich dem Galopp der Pferde überlassen, in einer Umarmung fliehen und enteilen!
»Ich nehme nichts mit, nicht wahr? – Wozu auch?«
Er brannte vor Fieber, stand schon an der Tür.
»Nein, nichts ... Nur schnell fort.«
»Ja, ja, nur fort.«
Und schon war sie bei ihm. Doch sie wandte sich noch einmal um, sie wollte einen letzten Blick auf das Zimmer werfen. Die Lampe brannte mit derselben bleichen Milde, der Hortensien und Stockrosenstrauß blühte noch immer, eine unvollendete und dennoch lebende Rose auf dem Stickrahmen schien auf sie zu warten. Vor allem war ihr das Zimmer niemals so weiß erschienen mit den weißen Wänden, dem weißen Bett, der
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