Der Traum
er sie zu umfassen, sie in liebestoller Umarmung zu der Seinen zu machen.
»Oh, kommen Sie, oh, seien Sie mein! – Fliehen wir, vergessen wir alles in unserem Glück.«
Sie entrang sich jäh in instinktivem Aufbegehren seinen Armen, und während sie aufrecht dastand, sprudelten die Worte über ihre Lippen:
»Nein, nein, ich kann nicht, ich kann nicht mehr!« Noch von dem Kampf aufgewühlt, zögerte sie, stammelte jammernd: »Ich bitte Sie, seien Sie gut, drängen Sie mich nicht, warten Sie ... Ich würde Ihnen so gern gehorsam sein, um Ihnen zu beweisen, daß ich Sie liebe, ich würde so gern an Ihrem Arm fortgehen in die schönen fernen Länder, in königlicher Pracht mit Ihnen gemeinsam im Schloß Ihrer Träume wohnen. Das schien mir so einfach, ich hatte wieder und wieder den Plan unserer Flucht entworfen ... Und wie soll ich es Ihnen erklären? Jetzt scheint es mir unmöglich. Es ist, als wäre plötzlich die Tür zugemauert und ich könnte nicht mehr hinaus.«
Er wollte sie von neuem betören, doch mit einer Gebärde hieß sie ihn schweigen.
»Nein, reden Sie nicht mehr ... Ist es nicht sonderbar? Je länger Sie mir so süße, so zärtliche Dinge sagen, die mich überzeugen sollten, um so mehr packt mich die Angst, läßt mich Kälte erstarren ... Mein Gott! Was habe ich nur? Ihre Worte entfernen mich von Ihnen. Wenn Sie weitersprechen, werde ich Sie nicht mehr hören können, dann müssen Sie gehen ... Warten Sie, warten Sie ein wenig.«
Und sie schritt langsam durchs Zimmer, suchte sich zu fassen, während er unbeweglich und verzweifelt dastand.
»Ich hatte geglaubt, Sie nicht mehr zu lieben, aber das war sicherlich nur aus Trotz, denn als ich Sie vorhin hier zu meinen Füßen wiederfand, tat mein Herz einen Sprung, war meine erste Regung, Ihnen als Sklavin zu folgen ... Wenn ich Sie also liebe, warum erschrecken Sie mich dann, und wer hindert mich, dieses Zimmer zu verlassen, als hielten unsichtbare Hände mich am ganze Leibe fest, an jedem Haar meines Hauptes?«
Sie war neben dem Bett stehengeblieben, sie kam zum Schrank zurück, ging so von einem Möbelstück zum anderen. Sicherlich waren sie durch geheime Bande mit ihrer Person verknüpft. Die weißen Wände vor allem, das starke Weiß der Mansardendecke hüllten sie in ein Gewand von Reinheit, das sie nur unter Tränen abgelegt hätte. Von nun an gehörte all dies zu ihrem Wesen, diese Umgebung war in sie eingegangen. Und es wurde ihr noch mehr bewußt, als sie vor dem Stickrahmen stand, der neben dem Tisch unter der Lampe liegengeblieben war. Ihr Herz schmolz, als sie die begonnene Rose sah, die sie niemals vollenden würde, wenn sie so, wie eine Verbrecherin, auf und davon ginge. Die Jahre der Arbeit stiegen in ihrer Erinnerung auf, diese so vernünftigen, so glücklichen Jahre, eine so lang währende Gewohnheit von Frieden und Rechtschaffenheit, die sich bei dem Gedanken an ein Vergehen empörte. Jeder Tag, das kühle kleine Haus der Sticker, das tätige und reine Leben, das sie abseits von der Welt darin führte, hatten etwas von dem Blut in ihren Adern erneuert.
Doch da er sah, wie sie so von den Dingen wiedererobert wurde, drängte er zum Aufbruch.
»Kommen Sie, die Stunde enteilt, bald ist die Zeit verronnen.«
Da sah sie vollkommen klar, sie rief:
»Die Zeit ist schon verronnen ... Sie sehen ja, daß ich Ihnen nicht folgen kann. Es lebte einst in mir ein leidenschaftliches und hoffärtiges Geschöpf, das Ihnen beide Arme um den Hals geworfen hätte, damit Sie mich mitnähmen. Doch man hat mich verwandelt, ich kenne mich nicht mehr wieder ... Hören Sie denn nicht, daß alles in diesem Zimmer mir zuruft, zu bleiben? Und meine Freude ist es geworden, gehorsam zu sein.«
Ohne zu sprechen, ohne mit ihr zu streiten, versuchte er, sie wie ein unfolgsames Kind fortzuführen. Sie wich ihm aus, flüchtete sich zum Fenster.
»Nein, um Gottes willen! Vorhin wäre ich Ihnen gefolgt. Doch das war das letzte Aufbegehren. Nach und nach ist wohl ohne mein Wissen die Demut und die Entsagung, die man in mich hineinsenkte, in meinem Innern gewachsen. Und so war bei jedem Rückfall in meine Erbsünde der Kampf weniger hart, ich triumphierte mit größerer Leichtigkeit über mich selber. Nun ist es zu Ende, ich habe mich überwunden ... Ach, teurer Gebieter, ich liebe Sie so sehr! Tun wir nichts gegen unser Glück. Man muß sich unterwerfen, um glücklich zu sein!« Und da er noch einen Schritt vortrat, stand sie schon vor dem weit geöffneten Fenster
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