Der Traumhändler
mich richtete, kam es mir so vor, als hätte er meine Gedanken gelesen und würde nun meinem Rat folgen. Doch zu meiner Bestürzung reagierte er so, dass ich beinah die Fassung verlor. Er tippte der Elendsgestalt auf die Schulter und sagte bestimmt: »Komm und folge mir! Bei mir wirst du dich an einem Getränk berauschen, das du noch nicht kennst!«
Starr vor Schreck fragte ich mich, ob ich richtig gehört hatte. Der Trunkenbold, der schwach auf den Beinen war, weil er getanzt hatte, aber auch, weil er seit Jahren von Alkohol angetrieben wurde, versank langsam in seinem vollen Whiskeyfass. Er rief: »Ein Getränk, das ich nicht kenne? Das gibt’s gar nicht! Ist es hochprozentiger Wodka?«
Seine Respektlosigkeit war mir peinlich, doch der Traumhändler verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. Auch in kritischen Situationen konnte er entspannt bleiben. Dann warf er mir einen Blick zu, als wollte er sagen: Mach dir keine Sorgen, ich bin gerade für die schwierigen Menschen gekommen.
Schockiert erwog ich, das Weite zu suchen. Es mochte gerade noch angehen, sich einem komischen Vogel, einem gesellschaftlichen Exzentriker anzuschließen, doch an der Seite eines respektlosen Trunkenbolds war es einfach zu viel. Die Risiken waren ja nicht auszudenken!
Mein Heim ist die Welt
D er Meister, Bartholomäus und ich machten uns unter dem Applaus der Menge langsam auf den Weg. Einige Leute fotografierten uns, und ich drehte das Gesicht weg, während Honigschnauze zu meinem Ärger auch noch posierte.
Da der Meister nicht reagierte, versuchte ich, den Trunkenbold fortzuzerren, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen. Ich hatte es wirklich nicht verdient, auch noch der Babysitter eines Säufers zu sein. Einige der anwesenden Journalisten machten sich Notizen.
Drei Straßenecken weiter fragte ich mich verzagt, was ich da eigentlich tat und wohin wir gingen. Mein Begleiter schien derweil einfach nur glücklich darüber zu sein, zu uns zu gehören.
Ich blickte gen Himmel und versuchte, mich zu entspannen. Der Traumhändler schaute mich lächelnd an, so als könnte er meine Zweifel hören, und ich nahm an, wir seien auf dem Weg zu seiner bescheidenen Unterkunft. Seiner Kleidung nach zu urteilen schien er sehr arm zu sein, aber irgendein gemietetes Dach hatte er bestimmt über dem Kopf. Auch wenn seine Wohnung klein war, erwies er sich gewiss als ein guter Gastgeber und verfügte, so vehement, wie er uns eingeladen hatte, wohl mindestens über ein Zimmer für mich und eines für Bartholomäus. Mit diesem Trunkenbold im gleichen Zimmer schlafen zu müssen wäre jedenfalls ein Affront.
Vielleicht würde er mich in einem einfachen, aber komfortablen Zimmer unterbringen, ohne Bettgestell, aber mit einer Schaumstoffmatratze, die dick genug war, um keine Rückenschmerzen zu verursachen. Die Laken wären vielleicht nicht neu, aber sauber. In seinem Kühlschrank fände sich vielleicht nicht viel, aber doch irgendetwas Gesundes zu essen; schließlich war ich ausgehungert und erschöpft. »Vielleicht, vielleicht, vielleicht«, dachte ich. Sicher war ich nicht.
Auf unserem Weg winkte der Traumhändler Kindern zu, grüßte die Erwachsenen und half einigen Leuten, ihre schweren Taschen zu tragen. Bartholomäus ließ sich mitreißen und winkte in alle Richtungen, ob sich dort nun Menschen oder Bäume und Laternenpfähle befanden. Ich hielt mich zurück, hob aber dezent eine Hand, wenn jemand uns zurückgrüßte.
Die allermeisten reagierten mit einem Lächeln. Ich fragte mich, woher der Traumhändler so viele Leute kennen mochte, und mir wurde klar, dass er sie gar nicht kannte. Er war einfach so. Für ihn war jeder Fremde ein Mensch, und jeder Mensch sein Nächster, und jeder Nächste kein Unbekannter. Er grüßte die Leute aus reiner Freude daran. Noch nie zuvor hatte ich jemanden gesehen, der so gut gelaunt und umgänglich war. Er handelte nicht nur mit Träumen, sondern er lebte sie auch.
So liefen wir ziemlich lange durch die Straßen. Wir legten mehrere Kilometer zurück, doch von seiner Wohnung keine Spur. Als ich schon nicht mehr laufen konnte, blieb der Traumhändler an einer Kreuzung stehen. Ich atmete auf. Uff! Ob wir wohl endlich angekommen waren? Es schien so.
An der Straße zu meiner Linken zog sich eine Zeile weiß getünchter Häuschen entlang, die aber so winzig waren, dass sie bestimmt keine drei Zimmer hatten.
Glücklicherweise schaute mein Begleiter aber nach rechts und deutete mit dem Kopf auf ein hohes Gebäude hinter
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