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Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Augusto Cury
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einer Brücke. Es schien mindestens acht Wohnungen pro Stockwerk zu haben und wirkte wie ein Taubenschlag. Offensichtlich waren diese Appartements noch winziger als die Häuschen und das Gebäude randvoll mit Menschen.
    Ich musste an das Gedränge der Studenten an der Uni denken und dachte: »Das halte ich nicht aus. Die Nacht wird furchtbar!« Doch der Traumhändler sagte ruhig: »Machen Sie sich keine Sorgen. Es ist viel Platz.«
    Ich versuchte, meine Sorge zu verbergen, und fragte höflich: »In welchem Stockwerk ist Ihre Wohnung?«
    »Meine Wohnung? Meine Wohnung ist die Welt«, antwortete er seelenruhig.
    » Very good , die Penne gefällt mir!«, sagte Bartholomäus, der es liebte, sein grauenhaftes Englisch vorzuführen.
    Alarmiert hakte ich nach: »Meister, was meinen Sie damit?«
    »Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Traumhändler aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.«
    Ich erstarrte. Hatte mein Retter gerade den berühmten Satz Christi fast wörtlich zitiert? Glaubte er womöglich, er sei Jesus? Das konnte nicht wahr sein! Und wenn er einen psychotischen Anfall hatte? Aber er schien hochintelligent zu sein! Und er sprach auf eine weltliche Weise von Gott. Wer war er? In welche Richtung lenkte ich da mein Leben? Aber bevor ich mir weiter den Kopf zerbrechen konnte, kühlte der Traumhändler meine erhitzten Gedanken mit den Worten: »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin nicht Er. Ich versuche nur, Ihn zu verstehen.«
    »Sie sind nicht wer ?«, fragte ich verwirrt.
    »Der Meister aller Meister. Ich bin der Geringste derer, die versuchen, ihn zu verstehen«, antwortete er ruhig.
    Ich war kurz erleichtert, forderte aber weitere Erklärungen, ohne sie zu erhalten: »Aber wer sind Sie denn nun?«
    »Ich habe Ihnen bereits gesagt, wer ich bin. Glauben Sie mir nicht?«
    Bartholomäus, der den Mund nicht halten konnte, mischte sich ein: »Du glaubst also nicht, dass er der Anführer der Außerirdischen ist?«
    Mir platzte der Kragen, und ich wurde grob: »Halt endlich den Mund, Du Faselschnauze!«
    Er erwiderte: » Faselschnauze? Ich bin Honigschnauze! Und du erniedrigst mich nicht, du zweitklassiger Intellektueller!« Er nahm eine Kämpferpose ein. Das war der erste Zusammenstoß unter den Jüngern des Meisters.
    Dieser wandte sich mir zu, und seine sanfte Zurechtweisung war wirkungsvoller als jede Strafe.
    »Julio, Sie sind so intelligent, dass Sie wissen: Ein Kunstwerk gehört nicht dem Künstler, sondern dem Interpreten, denn erst durch ihn bekommt es einen Sinn. Wenn Bartholomäus meint, ich sei der Anführer der Außerirdischen, warum stört Sie das? Ich fordere Großzügigkeit, nicht Gehorsam. Seien Sie großzügig zu sich!«
    Zunächst meinte ich, er hätte sich bei seinem letzten Satz wohl versprochen. Bestimmt wollte er sagen, dass ich Bartholomäus gegenüber großzügig sein sollte. Doch im Verlauf unserer Wanderschaft entdeckte ich, dass derjenige, der nicht großzügig zu sich selber ist, anderen Menschen gegenüber auch nicht großzügig sein kann. Wer sich selbst zu viel abverlangt, ist anderen ein Tyrann.
    Großzügigkeit war nun einer der größten Träume, die der Traumhändler mit den Menschen im globalen Irrenhaus teilen wollte. Die sogenannten »normalen Menschen« lebten voneinander isoliert, jeder in seiner eigenen Welt, und hatten vergessen, welch unbeschreibliche Freude es bereitet, sich zu verschenken, zu umarmen und einander immer wieder eine Chance zu geben. Großzügigkeit kam zwar als Begriff in den Wörterbüchern vor, doch selten als Gefühl in den Herzen. So war ich zwar bestens darauf vorbereitet, im täglichen Konkurrenzkampf zu bestehen, aber wie Großzügigkeit sich äußert, das hatte ich vergessen. Ich war in der Lage, sämtliche Fehler und Wissenslücken meiner Kollegen aufzuspüren, doch über sie hinwegsehen konnte ich nicht. Ihre Niederlagen freuten mich mehr als ihre Erfolge. Ich war wie ein Oppositionspolitiker, der nur darauf lauert, dass die Regierungspartei scheitert.
    Der einfühlsame Tadel des Traumhändlers hatte mich etwas beruhigt. Aber wo war nun die Wohnung, in der wir unterkommen würden? Da deutete der Meister zu dem Schatten unter der Brücke, die vor uns lag, und sagte: »Und das ist unser Heim.«
    Beim Anblick des armseligen Lagers zwischen Betonpfeilern und Schutt wurde mir schwindelig. Allmählich sehnte ich mich nach dem Alpha-Gebäude zurück. Unsere Schlafstatt bestand aus alten, zerschlissenen Matratzen, auf

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