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Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Augusto Cury
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freimütig.
    »Stimmt es, dass Sie unter einer Brücke leben?«
    »Nicht nur unter einer!«, prahlte Bartholomäus. »Wir wohnen unter vielen Brücken!«
    »Aus welchem Grund? Wer sind die Mitglieder Ihrer Gruppe und wer ist der Mann, dem Sie folgen?«
    Da er sich in die Ecke gedrängt fühlte, weil er nicht in der Lage war, präzise Auskünfte zu geben, sagte Bartholomäus, ohne viel nachzudenken: »Wir? Wir sind Künstler.«
    »Künstler? Sind Sie Maler, Bildhauer oder Schauspieler?«, fragte der Journalist, der neugierig geworden war und glaubte, eine bizarre Künstlertruppe vor sich zu haben. Aber er wurde enttäuscht.
    Schelmisch warf Honigschnauze ein: »Nein. Wir sind Künstler darin, das Leben zu verkomplizieren.« Dann lachte er so laut, dass es auch fünfzig Meter weiter noch zu hören war.
    Der Journalist fühlte sich auf den Arm genommen. Aber Bartholomäus war spontan und ehrlich gewesen. Um zu verdeutlichen, was er meinte, fügte er erläuternd hinzu: »Wir haben das Leben im Laufe der Geschichte immer weiter verkompliziert, doch jetzt machen wir einen komplizierten Prozess der Entkomplizierung durch. Ist nicht leicht, aber wir werden‘s schon schaffen.«
    Honigschnauze war ganz beseelt, denn er gab immerhin das erste Interview seines Lebens und sonnte sich doch recht gern im Rampenlicht.
    »Aber wer ist der Mann, dem Sie folgen, und wo kommt er her?«, fragte der Journalist begierig.
    »Keine Ahnung. Aber er handelt mit Träumen!«, sagte Bartholomäus treuherzig.
    »Was soll das heißen, er handelt mit Träumen? Der Mann soll völlig irre sein! Ist er nicht gefährlich?«
    Da deutete der arglose Schüler auf die Umgebung und sagte: »Ob er irre ist, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass er sagt, dass das hier ein großes Irrenhaus ist! Der Chef will die Welt verändern!«, bauschte Bartholomäus die Ziele des Meisters auf. Dieser wollte eher den Wunsch nach Veränderungen in den Menschen wecken, da die Verantwortung für die eigene Transformation nur bei jedem Einzelnen selbst liegen konnte.
    Der Journalist reagierte entgeistert: »Was? Diese zerlumpte Gestalt behauptet, wir leben in einem Irrenhaus? Und will die Welt verändern? Und das glauben Sie?«
    »Keine Ahnung, ob er die Welt verändern wird, aber er verändert gerade meine Welt!«, erwiderte Bartholomäus offenherzig.
    »Sind Sie vielleicht Anarchisten?« Der Reporter gab dem Gespräch eine neue Richtung.
    Bartholomäus hatte keine Ahnung vom historischen Anarchismus. Er wusste nicht, dass Pierre Joseph Proudhon, einer der Ideengeber, im 19. Jahrhundert eine neue Gesellschaft aufbauen wollte, in der die Freiheit des Einzelnen größer wäre und die Arbeiter nicht mehr von den Kapitalisten ausgebeutet würden. Er war der Meinung, dass in dieser neuen Gesellschaftsordnung auf der Basis der Organisation der Arbeiter jeder seine Mitmenschen gerecht behandeln und sein Potenzial entwickeln würde. Die Anarchisten lehnten Regierung, Gesetze und Institutionen ab und lebten selbstbestimmt. Ohne die Bevormundung des Staates wäre der Mensch ihrer Meinung nach frei.
    Der Meister war mit dieser zentralen Idee des Anarchismus nicht einverstanden. Für ihn war der Mensch mit oder ohne Institutionen in der Lage, schreckliche Dinge zu tun, seinen Mitmenschen die Menschenrechte abzusprechen, sie auszupressen und zu ermorden, nur für sein Eigeninteresse zu leben und unvorstellbar grausam zu sein. Er wollte auch nicht die Hippiebewegung wieder auferwecken, die im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg entstanden war. Die Empörung der Jugend über den Krieg führte damals zur Erschütterung ihres Glaubens an die Institutionen, woraus sich eine große Bewegung für Frieden und Liebe entwickelte, die jedoch keine gesellschaftlichen Verpflichtungen eingehen wollte.
    Im Gegensatz dazu war das Projekt des Meisters, mit Träumen zu handeln, gegenüber der Gesellschaft tief verpflichtet, zumal was die Einhaltung der Menschenrechte, die individuelle Freiheit und die psychische Gesundheit jedes Einzelnen anging. Deshalb riet er denen, die ihm folgen wollten, ihre gesellschaftlichen Aktivitäten nicht aufzugeben. Er rief nur einige Auserwählte, vielleicht die absonderlichsten seiner Anhänger, dazu auf, bei ihm in die Lehre zu gehen.
    Bartholomäus wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er kratzte sich am Kopf und antwortete mit philosophischer Schlichtheit: »Sehen Sie mal, mein Freund, ich weiß nicht, ob wir Anarchisten sind. Aber ich weiß, dass ich noch vor

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