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Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Augusto Cury
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sind, meine Damen und Herren?«
    Er erhob die Stimme: »Natürlich hat das System auch seine gute Seite. Es hat Impfstoffe, Antibiotika, Kläranlagen, landwirtschaftliche Technologien und haltbare Lebensmittel hervorgebracht und damit die physische Lebenserwartung erhöht. Doch dasselbe System, das uns mit Frischluft versorgt hat, hat uns mit seinen Exzessen den Sauerstoff entzogen. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Wir verstanden es nicht, zumindest nicht vollständig. Der Meister sparte oft an Worten und sprach in Rätseln. Was er wohl mit den »Exzessen« des Systems meinte? Um uns auf die Sprünge zu helfen, tat er, was er immer gern tat – er erzählte uns eine Geschichte: »Im Jahre 1928 untersuchte der schottische Bakteriologe Alexander Fleming eine gefährliche Bakterie in seinem Labor. Da er als guter Wissenschaftler auch unter Arbeitsüberlastung litt, ließ er zerstreut die Tür offen, als er abends nach Hause ging. Über Nacht machte sich daraufhin ein Pilz auf den Bakterienkulturen breit und überzog sie mit Schimmel. Doch das, was zunächst ein Unglück schien, führte zu einer bemerkenswerten Entdeckung: Der Schimmel hatte die Bakterien abgetötet. Auf der Grundlage dieser Entdeckung wurde das erste Antibiotikum hergestellt, das Penizillin, das Millionen von Leben gerettet hat. Doch das Penizillin ist exzessiv und wahllos eingesetzt worden. Und was ist das Ergebnis? Eine Katastrophe! Der übermäßige Einsatz von Antibiotika hat resistente Bakterien hervorgebracht, die deshalb noch viel gefährlicher sind. Das Penizillin, eines der größten Geschenke der Medizin an die Menschheit, wird heute für die Entstehung von Supermikroben verantwortlich gemacht, die in der Lage sind, der Menschheit größten Schaden zuzufügen! Auf dieselbe Weise ist das System, das die durchschnittliche Lebenserwartung erhöht hat, aufgrund seiner Exzesse dabei, uns geistig und seelisch früher ins Grab zu bringen als zur Zeit der Pocken.«
    Der Meister machte eine Atempause, bevor er die Lehre aus seiner Geschichte zog: »Körperlich leben wir heutzutage länger als in der Vergangenheit, aber wir haben das Gefühl, dass die Zeit viel schneller vergeht. Die Monate und Jahre verfliegen. Viele sind geistig noch kaum gereift, wenn sie merken, dass sie bereits siebzig oder achtzig Jahre alt sind. Achtzigjährige haben heute die Mentalität von Zwanzigjährigen. Welche Exzesse sind es, die eure Seele ersticken?«, fragte er seine Zuhörer, die durcheinanderriefen: »Exzessive Verpflichtungen!«
    »Exzessive Informationen!«
    »Exzessiver Druck … Konkurrenz … immer mithalten zu müssen!«
    Wir lebten in einer Gesellschaft der Exzesse – sogar in einer Gesellschaft des exzessiven Wahnsinns!
    In dem Durcheinander der Stimmen ließ sich auch Bartholomäus nicht lumpen. Wie so oft schoss er aber ein Eigentor: »Exzessives Saufen.« Und da er es nicht lassen konnte, andere zu piesacken, guckte er uns nacheinander an und sagte: »Exzessives Ego, exzessive Betrügerei, exzessive Religiosität!«, worauf er von uns ein paar Knüffe und Püffe erntete.
    Langsam begriffen die Leute, wie der Exzess ihr Leben umklammert hielt und wie dringend nötig sie es hatten, wieder zu träumen. Und dieser Mann, der mit einer geschwollenen Lippe und einem blauen Auge vor ihnen stand, wollte ihnen Träume verkaufen.
    »Aber wie soll man dem Stress und der Hektik im Leben denn bloß entkommen?«, fragte ein etwa sechzigjähriger Mann verzweifelt.
    Der Meister antwortete lakonisch: »Lassen Sie die Exzesse sein, auch wenn Sie dabei an Geld und Ansehen einbüßen! Wenn Sie als alter Mann nicht Ihrer Jugend nachweinen wollen, müssen Sie den Mut zu Einschnitten haben. Es gibt keinen Schnitt ohne Schmerzen.«
    Ich dachte: »Ob der Meister wohl in seinem eigenen Leben den Mut zu solchen Einschnitten gehabt hatte? Oder war er etwa einer dieser Theoretiker, die über etwas sprechen, was sie nicht selbst erlebt haben? Kann überhaupt jemand ohne eigene Erfahrung anderen die Augen öffnen?«
    Der Traumhändler hatte mir deutlich gemacht, dass mein bisheriges Leben nur so verflogen war. Ich steckte bis zum Hals im Schlamm exzessiver Arbeit, Sorgen und Gedanken, exzessiver Schwarzmalerei, Klagen und Schulden. Ich hatte »Superbakterien« geschaffen und damit meine Psyche infiziert.
    Der Meister sprach nicht nur von Einschnitten im Lebensstil, sondern verkaufte den Leuten auch seine berühmte Übung der Kunst der Beobachtung, die wir inzwischen wöchentlich

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