Der Traumhändler
Maul«. Seine linke Socke war hell-, die rechte dunkelblau. Sein weißes
T-Shirt zierte eine vielsagende Aufschrift, die zu ihm passte wie die Faust aufs Auge: »Folge mir nicht! Ich bin eine verirrte Seele!«
Als wir das Foyer betreten hatten und die äußerst eleganten Gäste betrachteten, hob der Meister nicht etwa mit einer Rede an, um die Modewelt zu kritisieren, sondern erschütterte uns mit der Bemerkung: »Ich überlege, ein paar Frauen einzuladen, um mit uns Träume zu verkaufen! Was meint ihr?«
Ein Zucken ging durch unseren Männerklub. Zugegeben: Wir waren exzentrisch und absonderlich, aber wir rückten näher zusammen. Es gab zwar Meinungsverschiedenheiten, aber allmählich gewöhnten wir uns aneinander. Unsere Diskussionen fernab vom Blick des Meisters waren manchmal heftig, aber wir konnten uns einigen. Jetzt auch noch Frauen in unsere Bruderschaft aufzunehmen schien uns einigermaßen übertrieben. Das würde nicht gut gehen.
Also gab ich zu bedenken: »Frauen? Meister, ich glaube, das ist eine schlechte Entscheidung.«
»Warum?«, fragte er.
Bevor ich antworten konnte, kam mir Honigschnauze glücklicherweise zu Hilfe: »Die halten das doch gar nicht durch! Wie sollen die denn unter einer Brücke schlafen?«
Salomon ergänzte: »Und wo sollen die aufs Klo gehen? Vor welchem Spiegel sollen die sich zurechtmachen?«
Darauf erwiderte der Traumhändler: »Wer hat denn gesagt, dass sie ihr Zuhause verlassen müssen, um uns zu folgen? Schließlich sollte jeder Mensch dort, wo er gerade ist, Träume verkaufen, und zwar sich selbst und anderen.«
Seine Worte beruhigten uns keineswegs. Wir wollten keine Frauen in unserer Gruppe haben, auch nicht zeitweise. Obwohl uns der Meister immer wieder davor gewarnt hatte, bildeten wir uns ziemlich viel auf die Schlachten ein, in denen wir uns erfolgreich geschlagen hatten. Wir hielten uns für Revoluzzer und Protagonisten eines fantastischen soziologischen Experiments. Wir wollten die Lorbeeren für unsere Heldentaten nicht teilen und dachten voller Vorurteile, Frauen würden unseren Wagemut hemmen.
»Meister! Dir zu folgen ist n… nur was f… für Männer, und zwar für r… richtige Männer! Außerdem r… reden Frauen zu viel und tun zu w… wenig!«, sagte Engelshand im Brustton der Überzeugung. Dann bemerkte er jedoch seine Arroganz und versuchte, zurückzurudern. Wir hatten das Projekt des Meisters an uns gerissen und wollten ihm eine männliche Prägung geben.
Edson sperrte sich ebenfalls gegen den Vorschlag und griff auf seine theologischen Kenntnisse zurück, um den Traumhändler von seinem Vorhaben abzubringen: »Die Jünger von Buddha, Konfuzius und Jesus waren alle Männer. Und du willst Frauen rufen, die dir nachfolgen? Guck dir doch die Geschichte an! Das klappt nie!«
Zum ersten Mal stimmten wir dem Wunderheiler geschlossen zu. Er konnte offensichtlich doch interessante Beiträge liefern.
Doch der Traumhändler fragte unseren Theologen: »Hat Jesus seine Jünger in den Mittelpunkt oder an den Rand seiner Pläne gestellt?«
»Natürlich in den Mittelpunkt!«
»Und die Frauen?«, bohrte der Meister weiter.
Edson rieb sich grübelnd die Stirn. Nach längerer Überlegung antwortete er spitzfindig: »Dass er sie an den Rand gestellt hat, kann man nicht sagen, denn sie haben ihn ja materiell unterstützt. Aber sie waren nicht aktiv an seinem Projekt beteiligt, also standen sie auch nicht im Zentrum.«
Ich dachte nur: »Donnerwetter! Unser Wunderheiler ist gar nicht so beschränkt, wie ich immer dachte!«
Der Meister schaute erst ihn und dann uns alle an und sagte: »Falsch!«
Danach verfiel er in Schweigen.
Da ich ja die sogenannten heiligen Texte studiert hatte, war ich der Meinung, dass Edson recht hatte, und wartete auf Begründungen, von denen ich schon im Voraus vermutete, dass sie uns nicht überzeugen würden.
»Die Frauen standen immer im Mittelpunkt seines Projekts. Erstens hat Gott, wie in der Bibel zu lesen steht, nicht Pharisäer, Priester oder griechische Philosophen dazu ausersehen, das Jesuskind zu erziehen, sondern eine Frau, und zwar eine junge Frau, die nicht zum patriarchalisch geprägten System gehörte. Zweitens war der erste Mensch, der von Jesus erzählte, auch eine Frau, nämlich die Samariterin, die in ihrem Leben schon mehrere Männer gehabt hatte, aber durch die Worte Jesu bekehrt wurde und die Kunde von ihm dann in ihrem Volk verbreitete.«
Der Meister hielt inne, um Atem zu schöpfen, und ließ dann den
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