Der Traumhändler
beizupflichten, und rief: »Bin ganz deiner Meinung, Chef! Aber ich diskriminiere keine Frauen! Im Gegenteil – mit was für Vogelscheuchen ich schon zusammen war!«
Das Publikum brach in Gelächter aus, aber uns war es peinlich. Wir blickten unseren unbeherrschten Genossen böse an und bedachten ihn mit einer Bemerkung, die inzwischen schon zu unserem Repertoire gehörte: »Tu doch mal so, als wärst du normal!«
Der Traumhändler hatte die Zuhörer in zwei Lager gespalten. Einige standen mit offenem Mund da und waren fasziniert, doch andere hassten ihn für seine Ausführungen bis zur letzten Faser ihrer luxuriösen Kleidung. Die Paparazzi begannen, ein Foto nach dem anderen zu schießen. Sie waren ganz wild darauf, vom Skandal des Jahres zu berichten.
Nach der Unterbrechung durch Bartholomäus sagte der Meister nun leise: »Ich bitte alle intelligenten Modeschöpfer inständig, die Frauen zu lieben, und zwar ohne Unterschied, und in ihre psychische Gesundheit zu investieren, indem Sie nicht nur genetische Ausnahmen auf die Laufstege schicken. Auch wenn Sie zunächst Geld verlieren, werden Sie auf lange Sicht unermesslichen Gewinn machen. Verkaufen Sie den Traum, dass jede Frau eine einzigartige Schönheit besitzt.«
Einige Zuhörer spendeten Beifall, unter ihnen auch drei Models, die rechts neben mir standen. Später erfuhren wir, welchem psychischen Druck sie ausgesetzt waren. So war die Gefahr, magersüchtig zu werden, für Models zehnmal größer als für Frauen aus der Normalbevölkerung. Sie wurden zu Schönheitsköniginnen gekürt, in einen goldenen Käfig gesteckt und, wenn sie in der Gefangenschaft eingegangen waren, einfach weggeworfen.
Ein paar Zuhörer buhten den Meister jedoch aus. Einer von ihnen bewarf ihn mit einer Plastikflasche, die direkt sein Gesicht traf. Die linke Augenbraue platzte auf, und Blut floss ihm übers Gesicht. Daraufhin griffen wir nach seinem Arm und wollten ihn wegziehen, doch er war keiner, der sich einschüchtern ließ. Stattdessen zog er ein altes Taschentuch aus der Tasche, wischte sich das Blut ab und fuhr mit seiner Rede fort. Beeindruckt dachte ich: »Die meisten Leute verbergen ihre wahren Gedanken, um nicht anzuecken. Ich bin stolz darauf, einem Mann zu folgen, der seinen Ideen treu bleibt, auch wenn er angegriffen wird!«
Nun machte der Traumhändler einen genialen Vorschlag: »Bis zu siebenundneunzig Prozent aller Frauen finden sich mehr oder weniger hässlich. Deshalb sollte es in jedem Bekleidungsgeschäft und auf jedem Etikett einen Hinweis geben, so, wie auf Zigarettenschachteln vor den Gefahren des Tabakkonsums gewarnt wird: ›Jede Frau ist schön. Schönheit kann nicht normiert werden.‹«
Diese Worte wurden anschließend in den Medien besonders hervorgehoben, illustriert mit einem Foto des Meisters vor dem Logo der internationalen Modemarke der Megasoft-Gruppe.
Während ich seinen Gedanken folgte, fragte ich mich wieder und wieder, wer dieser Mann sein mochte, der so bahnbrechende Vorschläge machte. Woher hatte er bloß sein Wissen? In Privatgesprächen hatte er uns beispielsweise auch davon erzählt, dass noch ein Jahrhundert, nachdem Abraham Lincoln die Sklaven befreit hatte, Martin Luther King auf den Straßen der großen amerikanischen Städte gegen die Diskriminierung der Schwarzen kämpfen musste. Diskriminierung braucht manchmal nur wenige Sekunden, um hervorzubrechen, aber ihre Beseitigung braucht Jahrhunderte.
Gegenüber dem Publikum betonte der Traumhändler, dass die grundlegenden Phänomene der Existenz niemals normiert werden können. Sexualität, Geschmackssinn, Appetit, Kunst oder Schönheit lassen sich in kein Schema pressen.
»Wie oft ist Geschlechtsverkehr normal? Jeden Tag? Einmal pro Woche? Einmal im Monat? Jede Art von Normierung würde schwerwiegende Störungen hervorrufen. Normal und ausreichend ist das, was den Einzelnen befriedigt.«
Ein bildhübsches Mannequin namens Monika war tief gerührt, unterbrach ihn und hatte den Mut, sich zu outen: »Ich habe nie was anderes gekonnt als modeln. Meine Welt waren die Laufstege. Ich bin von den besten Fotografen der Welt fotografiert worden und war auf den Titelblättern der wichtigsten Zeitschriften zu sehen. Die Modewelt hat mich in den Himmel gelobt und mich wieder ausgespuckt, als ich fünf Kilo zugenommen hatte. Heute leide ich an Bulimie. Ich stopfe mich zwanghaft mit Essen voll, habe anschließend fürchterliche Schuldgefühle und stecke mir den Finger in den Hals. Mein Leben
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