Der Traumhändler
als ob; er war einfach, wie er war. Monika reagierte jedoch anders als erwartet. Solange wir ihr davon vorgeschwärmt hatten, wie wunderbar das Handeln mit Träumen sei, zeigte sie wenig Interesse, aber als Bartholomäus das Projekt als völlig verrückt bezeichnete, wurde sie hellhörig. Sie wollte offenbar etwas Aufregendes erleben, und so schien sie nun anzubeißen.
Genau in dem Augenblick gesellte sich auch der Traumhändler wieder zu uns, und Monika sagte zu ihm: »Ich kenne den Mann, mit dem Sie sich gerade so lange unterhalten haben!«
»Ach ja? Er ist faszinierend!«, entgegnete der Traumhändler überschwänglich.
»Er ist taubstumm und kann keine Gebärdensprache!«, bemerkte unsere Laufstegschönheit. Langsam zweifelte sie an der Weisheit des Meisters. Wie hatte er mit dem Taubstummen überhaupt kommunizieren können? Wir schluckten und dachten, dass sie sich uns wohl doch nicht anschließen würde.
»Ich weiß!«, erwiderte der Meister. »Deshalb wird er nur selten beachtet und ist meistens isoliert. Ich habe ihm Aufmerksamkeit geschenkt und gehört, was Worte nicht sagen können. Haben Sie sich schon einmal die Zeit genommen, ihn wirklich zu verstehen?«
Nun schwieg sie genauso wie der Taubstumme.
Monika war beeindruckt. Er hatte sie überzeugt und für sich eingenommen. Sie würde ihm folgen, jedoch auf seinen Vorschlag hin zu Hause nächtigen. Wie viele schlaflose Nächte sie erwarteten, konnte sie sich da noch nicht vorstellen.
Am nächsten Tag erschien das Foto des Meisters nicht nur in der Zeitung der Megasoft-Mediengruppe, sondern in allen wichtigen Tageszeitungen der Stadt und sogar in den Fernsehnachrichten. Seine Äußerungen schlugen riesige Wellen. Einige Artikelschreiber bezeichneten ihn bereits so, wie er sich selbst gerne nannte, nämlich als Traumhändler, und berichteten, er hätte die Modewelt auf den Kopf gestellt. Diejenigen, die das mangelnde Selbstwertgefühl junger Mädchen besorgniserregend fanden, schrieben über das Barbiesyndrom, zogen jedoch auch Schlüsse, die über das hinausgingen, was der Meister gesagt hatte. So war in einer Zeitung zu lesen, er würde herumposaunen, viele Heranwachsende hätten einen Spleen, weil sie ständig etwas an ihrer Figur oder ihrem Gesicht auszusetzen hätten und sich immer nur darüber beklagen würden, dass es keine Kleidung gäbe, die ihnen steht.
Selbst Jugendliche, die normalerweise keine Zeitung lasen, wurden nun auf den Traumhändler aufmerksam, denn die Artikel über ihn machten auch in den Schulen die Runde. Seine Ideen thematisierten Probleme, die im Unterricht nicht angesprochen wurden, und verschafften ihnen große Erleichterung, da sie unter ihren angeblichen »anatomischen Defekten« wirklich gelitten hatten und jetzt sogar über ihre Paranoia lachen konnten. Ihr Kampfgeist wurde geweckt, und sie begannen, das Gesellschaftssystem zu kritisieren. Außerdem waren sie erpicht darauf, den geheimnisvollen Traumhändler persönlich kennenzulernen und seinen Reden zu lauschen.
Monika stieß am Nachmittag desselben Tages zu uns und berichtete von der Wirkung der Meldungen in ihrem beruflichen Umfeld. So hätten einige Modeschöpfer und Boutiquenbesitzer die Ideen des Meisters tatsächlich gekauft und damit begonnen, zu verbreiten, dass Schönheit nicht normiert werden könne.
Monikas Begeisterung ermunterte uns, ihr von unseren Abenteuern der letzten Monate zu erzählen, und sie nahm den ungewöhnlichen Idealismus unseres zerlumpten Haufens sprachlos zur Kenntnis.
Eine Woche nach den Ereignissen im Tempel der Mode rief der Meister uns zusammen und sagte, er wolle eine weitere Frau in unser Projekt aufnehmen.
In Anbetracht von Monikas appetitlichen Rundungen stellten wir uns entzückt vor, er könnte doch nicht nur eine, sondern sogar zwei oder drei oder am besten gleich zehn weitere Frauen zu uns rufen.
»Wie hat sich unsere Meinung doch geändert!«, dachte ich. Nachdem ich Politiker immer dafür kritisiert hatte, dass sie an einem Tag verbissene Feinde und am nächsten die besten Freunde sein konnten, verstand ich langsam, dass Wankelmut zur menschlichen, besonders männlichen Psyche dazugehört und nur von den Interessen abhängt, die auf dem Spiel stehen. Bei manchen Menschen war der Wankelmut eben sichtbar, bei anderen verborgen.
Nachdem der Meister seinen Wunsch kundgetan hatte, ließ er den Blick schweifen, rieb sich das Kinn und entfernte sich von uns, um nachzudenken. Wir hörten, wie er sich fragte: »Was für eine
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