Der Traumhändler
Gesellschaft seiner selbst, denn er wollte nachdenken.
Zwei Stunden nach uns traf er bei Dona Jurema ein. Die Millionärin hatte zwischenzeitlich sogar neue Kleidung für uns gekauft, und nach einer gründlichen Dusche sahen wir endlich wieder aus wie zivilisierte Menschen.
Wir saßen vor einer köstlichen Vorspeisenplatte mit verschiedenen Käse- und Wursthäppchen, und Honigschnauze war so hungrig, dass er gar nicht erst die zum Aufspießen bereitgelegten Zahnstocher benutzte, sondern gleich mit beiden Händen zugriff. So wurden wir daran erinnert, dass das System auch seine angenehmen Seiten hat!
Salomon konzentrierte sich derart aufs Essen, dass er keinen Ton mehr von sich gab. Erstaunlicherweise hatten sich seine Tics ziemlich gelegt, und ich fragte mich, ob das nun am Essen lag oder ob sich sein Zustand wirklich längerfristig gebessert hatte. Engelskralle stopfte sich derweil den Mund mit Käse voll und sah aus wie eine Maus: Mit vollen Backen starrte er auf die antike Aufsatzanrichte mit den Kristallgläsern und die Gemälde an den Wänden. Hätte ihn der Meister nicht für sein Projekt gewonnen, wäre er später wohl zurückgekehrt, um das Haus auszuräumen. Monika dagegen aß manierlich und diskret. Sie war so glücklich, Teil unserer Familie zu sein, dass sie sich durch nichts ablenken ließ. Was für Albträume sie wohl hinter sich haben musste, dass sie sich an unserer Seite so wohlfühlte?
Der Meister wurde in den imposanten Salon geführt, dessen hundertfünfzig Quadratmeter in fünf Wohnbereiche aufgeteilt waren. Im Unterschied zu unserem blieb sein Blick aber nicht an der luxuriösen Ausstattung hängen – sehr zur Freude von Dona Jurema, die der Schmeichler müde war, die über ihre Villa schwärmten, ohne mit der Besitzerin wirklich kommunizieren zu können.
Dann kam auch er zu einer angenehmen Dusche und frischer Kleidung und bat, nachdem er sich zu uns an den Tisch gesetzt hatte: »Jurema, erzähl uns ein bisschen von deinem verstorbenen Mann!«
Sie war erstaunt. Über Verstorbene wird ja meist nicht viel gefragt, da alle fürchten, ihren Gesprächpartner damit in Verlegenheit zu bringen. Doch Dona Jurema liebte es, über ihren Mann zu sprechen, den sie immer bewundert hatte. So erzählte sie von seiner Jugend, von der Zeit ihrer Verlobung und von ihrer Hochzeit. Dann hob sie seine Freundlichkeit, seinen Mut und seinen Esprit hervor. Während ihrer Schilderung rief der Meister zweimal aus: »Was für ein großer Mann! Auch er ist ein Traumhändler gewesen.«
Die alte Dame erwähnte auch, dass ihr Mann eines der dreißig Unternehmen der mächtigen Megasoft-Gruppe geleitet habe. Darauf fragte der Meister, von dem wir dachten, er würde sich nicht für die Geschäftswelt interessieren: »Wie ist er denn so reich geworden?«
Um das zu erklären, musste Dona Jurema die Geschichte der Megasoft-Gruppe etwas näher beleuchten. Der Inhaber eines großen Unternehmens war gestorben und hatte seinem fünfundzwanzigjährigen Sohn ein Vermögen hinterlassen. Da dieser sehr intelligent war und bemerkenswerte unternehmerische Fähigkeiten besaß, gelang es ihm, seinen Vater um Längen zu überflügeln. Durch den Gang an die Börse erhöhte er das Grundkapital des geerbten Unternehmens, erweiterte dann mit dem Geld aus dem Aktienverkauf die Geschäfte und investierte nach und nach in die verschiedensten Wirtschaftszweige, zum Beispiel in die Erdölindustrie, in Modeketten, in die Kommunikations-, Informatik-, Elektronik- sowie in die Hotelbranche. Innerhalb von fünfzehn Jahren schuf er die Megasoft-Gruppe, die zu einem der zehn mächtigsten Konzerne der Welt wurde.
Beim Börsengang hatte er allen Firmenangestellten die Möglichkeit gegeben, Aktien zu kaufen, sodass er selbst nur ein Nebenaktionär des Unternehmens war, über das er den Vorsitz führte. Doch durch das enorme Wachstum der Firmengruppe verdiente auch er sehr viel Geld.
Ich unterbrach Dona Jurema und rief: »Ich kann den Unternehmergeist dieses Mannes nur betonen, denn der Hauptaktionär meiner Universität war ausgerechnet die Megasoft-Gruppe. Als sie zum Hauptträger der Universität wurde, war immer genug Geld für die Forschung vorhanden.«
Da fragte der Traumhändler: »Jurema, haben Sie den jungen Mann, der die Unternehmensgruppe so groß werden ließ, wirklich gekannt? War er frei oder ein Gefangener des Systems? Liebte er das Geld mehr als das Leben oder das Leben mehr als das Geld? Wo lagen seine Prioritäten? Nach welchen
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