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Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Augusto Cury
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meinte, als Ergebnis von Klassenkämpfen. Es gibt ein ganz anderes Problem: Der Marktliberalismus garantiert uns zwar die Rede- und Eigentumsfreiheit, nicht aber die Freiheit, einfach nur zu sein. Der Kapitalismus hängt von unseren Wünschen ab statt von unseren Bedürfnissen. Er benötigt unsere chronische Unzufriedenheit, weil dadurch der Konsum angefacht wird.
    Wenn die Menschheit plötzlich nur noch aus Dichtern, Philosophen, Künstlern, Erziehern und spirituellen Leitfiguren bestünde, würde das weltweite Bruttosozialprodukt einbrechen, denn zumindest theoretisch sind solche Menschen zufriedener und konsumieren weniger. Es könnte urplötzlich um 30 bis 40 Prozent in den Keller gehen, sodass es zu mehreren Hundert Millionen Arbeitslosen und zur größten Rezession in der Geschichte käme. Es gäbe Kriege und nicht endende Konflikte.«
    Das Publikum hörte mit offenem Mund zu. Darüber hatten die anwesenden Geschäftsleute bisher noch nicht nachgedacht.
    Nachdem er die drei Säulen seiner Argumentation, das Problem von Unzufriedenheit und seelischer Verarmung, die Notwendigkeit humanistischer Bildung und seine Konsumkritik dargelegt hatte, versuchte der Meister die angespannte Atmosphäre ein wenig aufzulockern, indem er fortfuhr: »Wir waren ja noch gar nicht damit zu Ende, die Leiden des modernen Menschen aufzuzählen. Dazu würde ich gern noch etwas wissen. Mal sehen, ob wir hier wirklich eine Klapsmühle aufmachen müssen …«
    Die Leute lächelten.
    »Wer von Ihnen leidet unter Gedächtnisverlust?«
    Fast alle Finger gingen nach oben. Es war unglaublich. Die Menschen vergaßen Telefonnummern und Namen, sie vergaßen ihre Verabredungen und wussten nicht mehr, wo sie etwas hingelegt hatten.
    Scherzhaft bemerkte der Traumhändler: »Wahrscheinlich legen Sie auch noch den Autoschlüssel in den Kühlschrank und suchen ihn dann im ganzen Haus, was?«
    Jetzt lachten alle, und er fügte hinzu: »Noch lustiger sind diejenigen, die ihre Brille suchen und sie auf der Nase haben. Manche Leute vergessen sogar die Namen der Kollegen, mit denen sie jahrelang zusammengearbeitet haben. Wenn sie schlau sind, fragen sie: ›Wie war noch mal dein Name?‹, und meinen damit gar nicht den Nachnamen, sondern den Vornamen.«
    Einige Zuhörer hatten diese Taktik tatsächlich schon mal angewandt, und ich hegte den Verdacht, dass manchmal sogar der Traumhändler es so machte.
    »Meine Damen und Herren, Sie sind zwar vergesslich, aber deshalb brauchen Sie nicht zum Arzt gehen. Sie fragen sich vielleicht, warum nicht?«
    Ein Herr in blauem Anzug mit grauer, beige gestreifter Krawatte rief: »Weil der Arzt genauso vergesslich ist!«
    Endlich konnten die Leute über den Stress in ihrem Leben lachen. Langsam begriffen sie, dass Vergesslichkeit meist der verzweifelte Versuch des Gehirns ist, seine Überbelastung etwas zu verringern.
    Bartholomäus hatte sich gleich mit beiden Armen gemeldet, denn er war der Überzeugung, dass er wirklich alles vergaß. »Chef, warum hab ich immer die Namen meiner Schwiegermütter vergessen?«
    Wir waren die dummen Witze satt, mit denen er sich immer in den Vordergrund drängen wollte, und Barnabas, der ihn ja schon lange kannte, gab zurück: »Kein Wunder, bei den vielen Frauen, mit denen du schon zusammen warst. Bevor du dir den Namen der Schwiegermutter merken konntest, hattest du ja schon wieder eine neue!«
    Honigschnauze schaute in die Runde und hob um Verständnis heischend die Schultern. Das sollte wohl heißen: »Ich habe nie gesagt, dass ich ein Heiliger bin!« Er war einfach unmöglich. Wie sehr er es auch versuchte – er schaffte es einfach nicht, auch nur so zu tun, als wäre er normal.
    »Ich habe dich nicht deiner Schwächen oder Stärken wegen auserwählt, sondern weil du so bist, wie du bist«, stärkte ihm der Traumhändler den Rücken und fügte dann liebevoll hinzu: »Bartholomäus, ich bin auch vergesslich. Manche Leute sagen zu mir: ›Meister, ich habe ein so schlechtes Gedächtnis.‹ Darauf sage ich: ›Mach dir keine Sorgen, meins ist noch viel schlechter.‹«
    Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, dass ich ungeachtet meiner eigenen Vergesslichkeit von den Studenten immer außerordentliche Gedächtnisleistungen verlangt hatte. Bei der Korrektur ihrer Prüfungsarbeiten war ich äußerst penibel gewesen. Ich erinnerte mich an Jonathan, der brillant diskutieren konnte, aber nicht in der Lage war, Wissen zu Papier zu bringen. Ständig fiel er bei mir und anderen Dozenten durch.

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