Der Traumkicker - Roman
wahrhaben wollten. Jetzt stand fest, dass wir erneut unser Bündel schnüren und mit Sack und Pack und Kind und Kegel Abschied nehmen mussten. Man konnte nichts machen als weinen. Untröstlich weinen. Es tut sehr weh, den Ort zu verlassen, den man sich über Jahre zur Heimat gemacht hat, und liegt er auch in einer der lebensfeindlichsten Gegenden der Erde; es tut weh, dort wegzugehen, wo man seine Kinder hat zur Welt kommen und aufwachsen sehen, man sich die Lunge aus dem Leib geschuftet und seine Toten begraben hat.
Sehr weh tut das, mein Lieber, scheiße weh.
Als fühlten wir uns noch nicht verwaist und niedergeschlagen genug, zog Bruder Zacarías Ángel, der Anführer der im Wachsen begriffenen evangelikalen Gemeinde der Siedlung, später am Abend durch die Straßen und predigte aus vollem Hals, dies sei, ihr ungläubigen Heiden, ihr Menschen schwachen Glaubens, der Anfang vom Ende der Welt und er vom Höchsten aufgerufen, davon zu künden. Dass die gesamte Wüste, geheiligt werde der Name Gottes, mit Feuer und Schwefel vom Antlitz der Erde getilgt werde wie dereinst die verfluchten Städte Sodom und Gomorrha. Und diese Strafe Gottes werde ohne Gnade und Erbarmen vollstreckt, da die Menschen hier tagein, tagaus wie die Schweine den fleischlichen Lüsten gefrönt und ein nichtswürdiges Leben geführt hätten in Lasterhaftigkeit und Frevel. »Denn keiner von euch hat sein Herz beschnitten, wie es da heißt im 5. Buch Moses, Kapitel 10, Vers 16.«
An jeder Straßenecke blieb er stehen und verkündete fanatisch entflammt, dies, ihr Sünder und Sünderinnen, sei die Apokalypse wie im Neuen Testament vorhergesagt, und einzig die Auserwählten Jehovas würden ihr entrinnen durch ihr gesegnetes Blut. Denn all die anderen verirrten Schafe der Herde würden dahingerafft, da sie stur waren und unbußfertig, da sie sich taub gestellt hatten gegen das heilbringende Wort, da ihre Gedanken und ihre Herzen immer um die irdischen Dinge besorgter gewesen waren als um die himmlischen. »Beschäftigter damit, sich im lärmenden Gezänk um einen Ball zu ergehen, als nach den Geboten des Herrn zu leben.«
Noch nicht zufrieden, musste unser Lokalprophet uns obendrein die zehn Plagen aus dem Alten Testament an den Hals wünschen:
»Dieselben Plagen, die Gott Jehova über das Land der Ägypter kommen ließ, damit der Pharao sein Volk aus der Gefangenschaft entlasse! Ja, ihr Ungläubigen, hört nur her, denn ich sage euch wahrlich, das Wasser wird zu Blut werden, das Land der Wüste wird wimmeln von Fröschen, der Staub sich in Wolken stechender Mücken verwandeln, die Tiere werden tot hinstürzen, die Haut der Menschen wird bedeckt sein von Pusteln, der Himmel sich verdunkeln von Heuschrecken, Finsternis wird die Erde verhüllen drei Tage und drei Nächte, Blitze und Hagel werden die Ernten vernichten, und die Erstgeborenen werden von der verfluchten Seuche befallen sein und stürzen und sterben wie die Fliegen, einer nach dem anderen, einer nach dem anderen. Gepriesen sei Gott!«
»Wenn nur der Wein nicht zu Wasser wird, Brüderchen!«, tönte es da plötzlich im Chor, und wie ein nächtlicher Spuk schwankten vier angeheiterte Schatten über die Straße zum Rancho Huachipato.
Die Herde von Bruder Zacarías Ángel kam über vierzehn Schafe nicht hinaus, der Rest waren Kinder, die mitgingen, Mandoline zupften, das Tamburin schlugen und auswendig Verse hersagten. Obwohl sein Missionsdienst Straßenpredigten nur am Donnerstag und Sonntag vorsah, zog er, gewappnet mit der Gnade des Herrn, fast jeden Tag der Woche auf eigene Faust zum Anklagen, Verdammen und Prophezeien.
Außer als Prophet und Seelenhirte war Bruder Ángel in der Siedlung auch als der schärfste Eiferer gegen das Fußballspiel bekannt. In den flammenden Predigten, die er während seiner kleinen Gottesdienste am Pult in der Diele seines Wohnhauses hielt, spie er stets Gift und Galle gegen diese Heiden, die wie Horden wilder Tiere hinter einem Ball aus Tierhaut her hetzten. »Hinter einem Machwerk, das, liebe Brüder und Schwestern, nichts ist als ein hinterlistiger Köder des Großen Tiers, des Satans, des Teufels.« Allerdings erzählte, wer ihn von früher kannte, der fromme Schwadroneur sei in seinen besten Jugendjahren ein unüberwindlicher Rechtsverteidiger bei Deportivo Santa Luisa gewesen. Einer vom Typ Hacke an Kehlkopf.
War die Niedergeschlagenheit der Leute draußen auf der Straße groß, so war die Stimmung an den Spieltischen im Gewerkschaftshaus nicht
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