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Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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einer himmelblau gekachelten Grabplatte nieder. Von dort konnten wir sehen, wie die beiden bemüht leise miteinander stritten. Sie wisperte nur, schütteltedabei andauernd den Kopf oder hielt ihm entschieden ihren Zeigefinger vor die Nasenspitze. Während er, obwohl er ebenfalls leise sprach, die Arme mit großer Gebärde ausbreitete und hob.
    Da trat uns das Bild vor Augen.
    Wie er so neben dem gotischen Grabhäuschen unter dem Schutz des gnädigen, schmiedeeisernen Kreuzes stand und gestikulierte, nahm der Traumkicker für einen Moment, als er die Arme ausbreitete (seine Silhouette flirrte vor dem dämmrigen Himmel), vor unseren Augen überirdische Formen an. Der Präsident unserer Sportvereinigung hatte es schon am Tag seiner Ankunft gesagt, nun jedoch wurde es für uns alle offenbar: Er war es wirklich.
    Unser Messias.
    Der Gesandte Gottes.
    Der uns von der Schmach erlösen würde.
    Der schäbige Leinenbändel um seine Stirn erschien uns als Dornenkrone, und die Frau mit der roten Haarmähne und dem Sex in der Stimme offenbarte sich uns (die Wahrheit sollten wir erheblich später erfahren) als seine ureigene Maria Magdalena.
    Nach ein paar Minuten sah es aus, als würden die beiden sich abregen. Er nahm sie in den Arm, und sie lehnte ihren Kopf an seine Brust.
    So standen sie eine Weile.
    Wir glaubten, darin die Haltung von zwei Menschen zu erkennen, die um eine Liebe beten oder weinen, die hoffnungslos zum Scheitern verurteilt ist. Dann trat Expedito González zu uns und brachte mit seiner heiserenStimme kaum hörbar heraus, es sei gut, wir hätten gewonnen.
    »Ich bleibe bis Sonntag.«
    Auch wenn ihre Blicke sie Lügen straften, versuchten beide, eine Versöhnung vorzugaukeln, die offensichtlich misslungen war.
    Ehe wir uns, über die Entscheidung des Mannes glücklich und aufgekratzt, auf den Heimweg in die Siedlung machten, zerstreuten wir uns auf dem Friedhof und schauten rasch nach den Gräbern unserer Angehörigen. Einige von uns machten auch vorab schon ein bisschen sauber (in den kommenden Tagen würden wir mit Wasser, Pinsel und Kalk wiederkommen), wie wir das ausnahmslos jedes Jahr zum ersten November taten. Die Zuneigung und Achtung für unsere Toten war groß und die Grabhäuschen und -nischen auf dem Friedhof häufig aufwendiger geschmückt und verziert als die gute Stube daheim.
    In gemessenem Schritt trat unser Tross schließlich unter dem verglimmenden Abendhimmel den Rückweg in die Siedlung an.
    Die karge, vom Licht der Dämmerung weichgezeichnete Landschaft lud zum Schweigen ein.
    So dass auf unserem Weg niemand es wagte, den zauberischen Bann zu brechen. Bei Anbruch der Nacht durch die grenzenlose Weite hier draußen zu wandern war, als wanderte man über einen verlassenen Planeten oder einen, der gerade erschaffen wurde; die kosmische Stille dröhnte einem gegen die Schädeldecke, und dasGefühl von Einsamkeit erfüllte den Geist mit hehrem Schrecken.
    Erst als wir die ersten Häuser der Siedlung erreichten, traute sich Don Celestino Rojas, etwas zu sagen. Freund Expedito müsse nicht beunruhigt sein über das, was er beim Tag seiner Ankunft gespürt habe. Zwar habe ihn da auf der Dorfstraße eine Windhose erfasst (»und ein alter Aberglaube sagt, dass, wer von einer Windhose berührt wird, die Wüste nicht mehr verlässt«), aber er und wir würden hier sowieso nicht mehr lange bleiben, denn falls die Gewerkschaft heute nicht mit einer sehr guten Neuigkeit aufgewartet hätte, müssten wir mit Mann und Maus verschwinden. Und das sehr bald.
    »Mir schwant da nichts Gutes«, sagte unser Präsident unheilschwer, als rieche er wie die Geier den Tod in der Luft.
    Beim Gewerkschaftshaus angekommen, stellten wir einmal mehr fest, dass Don Celestino Rojas ein Bote des Unglücks war. Die Versammlung war seit wenigen Minuten beendet und die Stimmung bedrückt und ohnmächtig: Die Schließung von Coya Sur war endgültig beschlossene Sache. Ich hatte es vorher gewusst. Weil es nämlich, auch wenn man mir Schwarzmalerei vorwarf, einfach das unabwendbare Schicksal der Salpetersiedlungen war. Man konnte nichts dagegen tun. Die Geschichte der Menschen hier draußen war von jeher eine des Exodus und würde es weiter sein: Leben in einer Salpetersiedlung und, sobald die Schlote dort erkalteten, weiter zur nächsten, bis von den vielen hundert Orten, mit denen dieser elende Landstrich einst gesprenkelt gewesen war, keiner mehr übrig wäre. Das hatten wir, sie und ich, immer gewusst, auch wenn wir es nicht

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