Der Traummann aus der Zukunft (German Edition)
Bauarbeiter, der früh um sechs schon Bockwurst frisst. Ich fass‘ es nicht. Ich will auch die Zukunft wissen!“ Hilda beugte sich vor und versuchte den Blick der Wahrsagerin zu finden. Doch deren Augen waren so auf Emilia fixiert, dass Emilia ein Stechen am ganzen Körper spürte.
„Du hast eine sehr heikle Frage gestellt. Bist du wirklich sicher, dass du sie vor der Zeit beantwortet haben möchtest?“
„Klar!“, blökte Hilda dazwischen. „Emilia will immer alles vorher wissen, damit sie keine Angst vor Entscheidungen haben muss!“
Emilia sog entrüstet die Luft ein. Das war jetzt nicht wirklich lustig. Da war wieder die schonungslose Hilda, die kein Blatt vor den Mund nahm und einem unangenehme Gefühle bereiten konnte. Doch Emilia ignorierte sie. Dieser Moment war wesentlich für ihr Leben, Emilia spürte es ganz genau. Hilda war nur noch eine unbequeme Statistin am Bildrand einer wichtigen Schlüsselszene.
„Es kann eine schwere Last sein, die Zukunft zu kennen, bevor sie eintrifft“, fuhr die Wahrsagerin fort.
Emilia schüttelte sich, als könnte sie diese rotfarbigen Hinweise abschütteln. Sie wollte es nicht so ernst und schwer. Sie wollte einfach nur mehr über ihre große Liebe erfahren. Hilda sprang plötzlich auf und schlug einen erstaunlich nüchternen Ton an. Außerdem hatte sie auf einmal diesen forschenden Blick, den alle hatten, die im medizinischen Bereich arbeiteten, wenn es darum ging, herauszufinden, ob dem Patienten ernsthaft was fehlte. Sie packte Emilias Arm.
„Los komm, Emilia, es reicht. Lass uns gehen.“ Doch Emilia entzog Hilda ihren Arm. Hilda stöhnte entnervt, drehte sich um und lehnte sich über das Geländer um einen Blick in die tiefschwarze Spree zu werfen. Die Wahrsagerin blieb völlig gelassen. Hilda schien sie nicht im Geringsten aus dem Konzept zu bringen.
„Wo kann ich ihn treffen?“, flüsterte Emilia hastig, als sollte Hilda nicht hören, dass sie so eine konkrete Frage stellte.
Die Wahrsagerin seufzte, als hätte sie bereits gewusst, dass Emilia ihre Warnungen ignorieren würde.
„Er wohnt in der Liebermannstraße…“, sie überlegte kurz, dann sagte sie: „…Nummer 2“.
„Das ist ja in Pankow! Bei mir im Bezirk!“, rief Emilia erstaunt aus, so dass Hilda sich wieder zurückdrehte. „Naja, ist ja auch nicht total unwahrscheinlich, dass es in einem Mietshaus mit Seitenflügeln und Hinterhöfen und ungefähr 35 Wohnparteien einen Typen gibt, der um die 1,90 ist und Haare hat, die man als blondgrau durchgehen lassen kann. Selbst wenn sie kurz sind, er kann ja zwischenzeitlich beim Friseur gewesen sein.“
Hildas Stimme klang abfällig und ein bisschen wütend. Sie hasste es, wenn Leute versuchten, andere Leute an der Nase herumzuführen. Trotzdem, Hildas Realismus durfte nicht gewinnen. Emilia hatte das sichere Gefühl, nicht an der Nase herumgeführt zu werden. Sie musste nur noch genauer fragen:
„Hat er denn etwas Besonderes, also, irgendwas, woran man ihn unzweifelhaft erkennen kann?“
Die Wahrsagerin lächelte:
„Ja…das hat er… ihm fehlen vier Vorderzähne…“
Hilda wurde spontan von einer Lachsalve geschüttelt, die lauter war, als alle davor. Einige Leute im Biergarten verrenkten sich die Hälse, um die dazugehörige Person dazu ausfindig zu machen. Emilia wusste nicht, ob sie mitlachen oder sauer sein sollte.
„Quatsch…“, sagte sie und hoffte, dass die Wahrsagerin sich einen Scherz erlaubt hatte. Aber die wiederholte nur noch ein bisschen bestimmter:
„Ihm fehlen vier Zähne ... vorne … oben.“ Dann erhob sie sich, während immer noch ein bisschen Sand aus ihrer Faust rieselte. Jetzt, wo sie neben Hilda stand, registrierte Emilia erst, wie klein sie war. Gegen sie wirkte selbst Emilia groß und kräftig.
„Na dann, auf in die Liebermannstraße!“, schlug Hilda vor und klang abfällig. Die Wahrsagerin blieb ganz ruhig und konzentrierte sich weiter nur auf Emilia.
„Du kennst jetzt die Zukunft. Aber du wirst ihn nicht kennenlernen können, bevor die Zeit dafür reif ist. Viel Glück damit!“
Plötzlich erhob sich eine kleine Brise und wehte der Wahrsagerin das Tuch von den Schultern. Emilia sprang auf und bekam es gleichzeitig mit Hilda zu fassen, bevor es in der Spree landete.
„Und wann ist die Zeit reif dafür?“, fragte Emilia als sie sich umdrehte, um der Wahrsagerin das Tuch zurückzugeben. Doch da war niemand mehr. Sie war genauso schnell verschwunden, wie sie gekommen war.
Hilda runzelte die
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