Der Traummann aus der Zukunft (German Edition)
Stirn. Solche mysteriösen Dinge mochte sie überhaupt nicht. Dafür gab es immer eine Erklärung. Sie schnappte sich das Tuch und begann nach der kleinen Frau zu suchen, an der Bar, zwischen den Liegestühlen und auf der Damentoilette. Emilia suchte mit. Wenn die geheimnisvolle Frau Straße und Hausnummer ihrer zukünftigen großen Liebe wusste, dann bestimmt auch den Namen. Warum verschwand sie auf einmal und ließ einen mit diesem Halbwissen zurück? Leider hatten Hilda und Emilia keinen Erfolg. Die Wahrsagerin blieb wie vom Erdboden verschluckt.
Hilda zuckte mit den Schultern und hielt das Tuch in der Hand, als wäre es ein unberechenbares Tier. Emilia nahm ihr das Tuch ab.
„Wahrscheinlich hat sie das Männerklo benutzt“, überlegte Hilda. Immerhin eine Möglichkeit, die die Situation erklären konnte. Hilda sah auf die Uhr. Kurz nach eins. Sie befanden sich ganz in der Nähe der Bar.
„Trinken wir noch ein Mineralwasser?“, schlug Hilda vor.
Das war eine gute Idee. Emilia sammelte die Reste in ihrem Portmonee zusammen und bestellte. Sie stießen mit ihren Gläsern an:
„Auf meinen Zukünftigen!“, entschied Emilia.
„Dann kannst du dich ja jetzt ohne Angst von Bernhard trennen“, resümierte Hilda.
Emilia runzelte die Stirn. Was sollte das jetzt schon wieder? Der Ton, in dem Hilda das sagte. Machte sie sich über Emilia lustig? Emilia beschloss, nicht darauf zu reagieren.
„Naja, erst mal schau ich mich in der Liebermannstraße 2 um.“
„Heißt das, du glaubst den Blödsinn?“ Hilda verdrehte die Augen.
„Eben klang es eher, als wenn du es glaubst!“
„Wenn du dich deshalb von Bernhard trennst, dann gern.“
Jetzt waren sie wieder an ihrem Lieblingsstreitpunkt, an den sie heute eigentlich nicht kommen wollten. Emilia atmete tief durch. Hilda ließ das Thema fallen und entschied sich für einen harmonischen Ausklang ihres Ausfluges:
„Jedenfalls, das war ein herrlicher Abend! Sollten wir öfter machen!“
„Stimmt“! Emilia lächelte. Sie stießen noch einmal an. Hilda nahm ihre Zitronenscheibe:
„Los, zugleich!“
Emilia zog ihre Zitronenscheibe ebenfalls vom Rand des Glases ab, dann lutschten sie sie aus und verzogen die Gesichter.
„Boa, das holt einen auf den Boden der Tatsachen zurück.“
Hast du den denn je verlassen?, wollte Emilia antworten, entschied sich aber für:
„Dafür ist es gesund!“ Es klang versöhnlicher, auch wenn es in Wirklichkeit implizierte, dass der Boden der Tatsachen nicht so gesund war, aber Hilda bemerkte die Botschaft zwischen den Zeilen nicht.
Sie nahmen sich ein Taxi. Hilda war zuerst zu hause. Sie hielt sich ihren Kopf, als sie sich von Emilia verabschiedete.
„Oh man, das war zu viel. Zum Glück ist morgen Samstag. Einen Ausflug zum Spielplatz werd ich grad noch so gebacken kriegen.“
Sie umarmten sich.
„Und was steht bei dir so an morgen?“
„Weiß ich noch nicht“, antwortete Emilia. Dabei wusste sie es ganz genau.
In der Wohnung war alles still. Bernhard schlief und schniefte leise vor sich hin. Emilia nahm ein Aspirin gegen die aufkommenden Kopfschmerzen. Sie holte sich ihre Decke aus dem Schlafzimmer und machte es sich auf der Couch im Wohnzimmer bequem. Sollte Bernhard sich ruhig morgen darüber aufregen. Der Schlaf wollte nicht kommen, obwohl Emilia sich total erledigt fühlte. Immer und immer wieder ging sie die Begegnung mit der Wahrsagerin durch.
Lag es am Alkohol, dass ihr alles so wahr, wichtig und bedeutsam vorkam? Emilia dachte an das Tuch, das sie an die Garderobe gehängt hatte. Eingebildet war das Erlebnis schon mal nicht.
Aber wo war diese Zigeunerin so plötzlich hergekommen? Hätten Emilia und Hilda sie nicht trotz Alkohol bemerken müssen, während sie ihr Geschäft bei anderen Leuten versuchte? Warum wollte sie von ihnen kein Geld? Und warum hatte sie sich so entschlossen auf Emilia konzentriert? Okay, vielleicht ließ sich das damit erklären, dass besonders sensible Menschen Antennen dafür besaßen, wer es gerade besonders nötig hatte. Aber was hatte Emilia besonders nötig? Die große Liebe? Wieso hatte sie überhaupt diese Frage gestellt? Weil Alkohol sentimental machte? Oder einfach nur ehrlich? Oder weil der Abend sie zu sehr an früher und ihre rosaroten Träume erinnert hatte?
Trotzdem, jetzt lag sie hier, mit einer Aspirin im Blut, die wieder ein bisschen Ordnung ins System brachte und fühlte sich recht nüchtern. Aber die Bedeutungsschwere der Begegnung wurde nicht leichter.
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