Der Traurige Polizist
des Hauses blies. Die vordere Veranda war nach Norden ausgerichtet. Dort konnte man den
Wind nur in den Bäumen hören. Er setzte sich auf den mit Schiefer gefliesten Boden, lehnte den Rücken an die Wand und zündete
sich eine Zigarette an.
Ihm war danach, über sich selbst zu lachen.
Hatte er wirklich geglaubt, er könnte Lara begraben?
Nur weil er ein paar Tage lang von dem Körper einer Achtzehnjährigen geträumt hatte? Weil er eine Psychologin aufsuchte?
Nicht zum ersten Mal hatte er die schrecklichen Geräusche gehört, die Benny Griessel von sich gab.
Er kannte diese Geräusche. Er hatte sie selbst von sich gegeben. Nicht mit seiner Stimme, aber in seinem Kopf. In jener düsteren
Vergangenheit, als er Schmerz und Demütigungen noch haßte. Bevor er süchtig danach geworden war.
|194| Erzähl das deiner Psychologin, dachte er. Erzähl ihr, daß du nach der Dunkelheit deiner Seele genauso süchtig bist wie Griessel
nach Alkohol. Aber es gibt einen Unterschied, Frau Doktor. Man kann Mat Joubert aus der Dunkelheit holen, doch man kann die
Dunkelheit nicht aus Mat Joubert holen. Sie war Teil seines Körpers geworden, sein Fleisch war darum gewuchert, wie ein Baum,
der ein Stück Stacheldraht in den Stamm einschließt, das dennoch für immer kratzt und zieht und den Baum bluten läßt.
Er hörte wieder Laras Lachen, das er immer und immer wieder auf dem Kassettenrecorder abspielte, während er seinen Kopf an
die Wand schlug – immer und immer wieder, bis ihm das Blut in die Augen lief.
Griessels Schmerz heute nacht war im Grunde ein Geschenk gewesen. Es hatte Joubert zu Sinnen gebracht.
Er hätte es schon am Tag zuvor begreifen sollen, als Hanna Nortier ihre letzte Frage gestellt hatte. Als ihm klargeworden
war, daß er über Lara sprechen mußte, als ihm klargeworden war, daß er der Ärztin nicht alles würde erzählen können.
Er war Lara Jouberts Gefangener. Und der Schlüssel zu seiner Zelle war da, erreichbar, so einladend erreichbar. Erzähl der
guten Ärztin einfach alles. Die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Erzähl der Ärztin den Teil über Laras Tod, den nur
du kennst – er wußte, daß er dann frei sein würde. Teil diese Stunde mit Dr. Hanna Nortier, dann kannst du die Last abschütteln,
kannst den dunklen Vorhang niederreißen.
Es war halb eins, als er den Kassettenrecorder im Keller in die Hände nahm und auf den Knopf drückte, um das Band zu starten.
Die Kopfhörer verbotenerweise auf dem Kopf, hatte er sich umgesehen, um festzustellen, ob jemand ihn beobachtete. Er
|195|
selbst war völlig damit im reinen, das Gesetz zu brechen. Drück den Startknopf. Er ahnte nichts. Er tat nur seine Pflicht.
PLAY.
Das würde er Hanna Nortier nicht erzählen können.
Joubert lehnte seinen Kopf an die Mauer und schnipste die Zigarette in die Dunkelheit.
Er konnte es nicht einmal sich selbst erzählen, dachte er. Wie oft hatte er versucht, die Sache aus einem anderen Blickwinkel
zu betrachten. Er suchte nach Entschuldigungen, Linderung, einem Ausweg. Er suchte nach einer anderen Deutung.
Doch nichts half.
Er hatte die Kassette verbrannt, aber die Stimmen waren immer noch auf Band. In seinem Kopf. Und er konnte die Play-Taste
nicht mehr drücken. Nicht einmal für sich. Es tat weh.
Er beugte sich zur Seite, um seine Hand in die Hosentasche schieben zu können, er zog seine Zigaretten heraus und zündete
sich noch eine an.
Komm schon, Doktor Hanna, dachte er. Können Sie wirklich die Überreste eines Menschen auffegen und ihn dann wieder zusammenkleben,
mit Ihrem Wunderkleber, und sagen, jetzt ist er wieder ganz? Die Sprünge sind doch immer noch zu sehen, und nur die leichteste
Berührung reicht, um das Wesen wieder in die Brüche gehen zu lassen.
Was soll das alles, Frau Doktor?
Sagen Sie, Frau Doktor, warum soll ich mir nicht die kühle Schnauze meiner Dienstpistole in den Mund schieben und die letzte
Kopie der Kassette zerschießen, zusammen mit all den Geistern, die sich dort oben versammelt haben, in Ewigkeit? |196| Carina Oberholzer saß an ihrem Ankleidetisch und schrieb.
Sie schrieb, während ihr die Tränen über die Wangen liefen und auf das blaue Briefpapier tropften.
Carina Oberholzer schrieb nicht auf, warum der Mauser-Mörder Leute mit einem Druck auf den Abzug ins Jenseits beförderte.
Sie wollte nicht. Sie konnte nicht. Alles, was ihr Geist ihr zu schreiben erlaubte, war:
Wir haben es verdient
. Dann schrieb sie, daß man den
Weitere Kostenlose Bücher