Der Tribun
hatte Saldir viel gelernt aus der Buchrolle, und die größte Schwierigkeit bestand darin, ihr den typischen breiten Akzent abzugewöhnen. Doch inzwischen war ihm die eigene Sprache fremd geworden, sodass er ohne diese Stunden verloren gewesen wäre.
»Eine Palisade mit waagerechtem Abschluss ist weniger geeignet, um Angreifer auf Distanz zu halten«, begann er unsicher. »Ziel ist es schließlich, dass sie erst gar nicht bis zur Mauer vorrücken können. Wenn die Palisade oben gerade abschließt, ist es für die Verteidiger schwieriger, gezielte taktische Maßnahmen durchzuführen, weil sie sich immer wieder bücken müssen, um gegnerischen Salven zu entgehen. Angreifer, die über Ballisten verfügen, könnten die Verteidiger nötigen, ständig in Deckung zu bleiben, oder ihnen empfindlichen Schaden zufügen und den Mauerring geradezu leer fegen, noch bevor zum Sturm gerufen wird.« Flink skizzierte Cinna eine Mauer mit Palisadenring, der in regelmäßigen Abständen von Zinnen gekrönt war. »Einige wenige, die aus geeigneter Position den Überblick behalten, können eine kleine Gruppe von Verteidigern so steuern, dass die Mauer nie unbewacht ist und der Feind seine Geschosssalven nicht nutzen kann, um heranzurücken.«
Der Alte rieb seinen Bart, und seine Blicke flogen von der notdürftigen Zeichnung zu Cinna und wieder zurück, hin und her. Dann nickte er.
»Er hat Recht«, brummte er. »Macht es so.«
Die steinerne Außenverkleidung der Mauer war ausgebessert worden, und der Bau der neuen Palisade schritt zügig voran. Auf dem Wehrgang zeigte Cinna Hraban einige taktische Manöver, die er während seiner Ausbildung gelernt hatte. Erinnerungen an Lugdunum erwachten, an diese lebhafte Stadt in der Gallia, wo er seine Einarbeitungszeit verbracht hatte, an das klare Licht der südlichen Sonne. Selbst wenn es in letzter Zeit allmählich wärmer geworden war, die Wiesen sich grün färbten und an den Zweigen die harten Knospen platzten, all das war nur ein matter Abglanz.
Hraban hatte einen Mann hinzugezogen, dessen vernarbtes Gesicht von kriegerischen Auseinandersetzungen zeugte, und den er als Waihtis vorgestellt hatte, den tüchtigen Unterführer des Dorfes jenseits der Felder. Waihtis lauschte Cinnas Ausführungen mit schmalen Augen.
»Ein schlaues Vorgehen, um sich zu verschanzen«, knurrte er. »Aber ein schneller Ausfall anstelle dieser Finten wird jeden Gegner zurück in die Wälder treiben.«
»Mag sein.« Cinna erwiderte Waihtis’ Blick. »Aber ein schneller Ausfall anstelle dieser Finten würde Tor und Mauer fast ungeschützt zurücklassen – leichte Beute für einen Gegner, der seine tatsächliche Stärke und Stellung im Dunkel des Waldes verbergen kann.«
Waihtis blinzelte, seine Mundwinkel zuckten im Schatten des Bartes, und er wechselte einen Blick mit Hraban, der unverhohlen grinste.
»Gute Finte«, murmelte er. »Oberstes Ziel ist es, die Burg zu verteidigen. Und genau das werden wir tun.«
Ein Schrei gellte durch das Dorf. Eine Frau rannte den Hügel hinauf zu Inguiotars Anwesen. Das Tuch, das ihr Haar bedeckte, flog davon.
»Unheil«, brummte Waihtis.
Der Wind wehte eine schrille Wehklage herüber.
»Godareths ist tot.« Hraban setzte sich in Bewegung, eilte den kurzen Hang auf der rückwärtigen Seite der Mauer hinunter und schlug den Weg zum elterlichen Hof ein.
Gritha lag vor Thauris auf dem Boden und drückte wimmernd ihr Gesicht in den Staub. Ihre Finger, die sich um den Rocksaum der Herrin gekrallt hatten, zuckten bei jedem Schluchzer. Langsam bückte sich Thauris und nahm die Hand der Greisin in ihre, wollte ihr helfen aufzustehen. Doch Gritha verharrte auf den Knien, umschlang die Beine der Herrin und vergrub ihr schmutziges Gesicht in den Falten des hellen Rockes. Als Swintha Anstalten machte, sie wegzuziehen, winkte Thauris ab. Sacht strichen ihre Finger über Grithas stumpfes, graues Haar, während sie auf die Alte einflüsterte, bis diese sich aufrappelte. Thauris nahm ihren Arm und winkte Cinna und Margio, ihr zu folgen, aber Margio hob abwehrend die Arme, und so schickte Thauris sich kopfschüttelnd an, Gritha den Weg hinunterzugeleiten; Cinna folgte ihnen gehorsam.
Godareths’ Leiche lag ausgestreckt auf dem dürftigen Lager, die hageren Züge grau und eingefallen; die Augen starrten in den Giebel, und das Kinn war herabgesackt, entblößte die schwarzen Zahnstümpfe. Zitternd blieb Gritha an der Tür stehen, während Thauris an das Bett trat und eine Schnur um
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