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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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das Gesicht des Toten wickelte, um den Mund zu schließen. Ohne die Leiche aus den Augen zu lassen, entfernte sie sich rückwärts vom Totenlager.
    »Bereitet alles vor und bringt ihn zu den Gräbern«, flüsterte sie zu den Männern herüber. »Wir müssen ihn heute noch einäschern.«
     
    Fast alle Bewohner der Siedlung hatten sich auf dem Gräberfeld versammelt, einem Stück Brachland abseits der Äcker, das zahllose Steinhaufen verschiedener Größe bedeckten. Am Feldrain, in sicherer Entfernung vom Wald, war ein Scheiterhaufen errichtet worden, auf dem die Bahre stand. Sie hatten Godareths in seine besten Kleider gehüllt und das dünne Haar über dem rechten Ohr zu einem Knoten geschlungen. Die Frau, die Ahtareths bei seinem Orakeln zur Hand ging, trat zu ihm, in ihren Händen eine gebleichte Lederkappe. Ihre Lippen bewegten sich rasch, und mit den Händen vollführte sie langsame Gesten, bevor sie das Gesicht des Toten mit dem Leder bedeckte.
    Die Männer senkten ihre Fackeln, um das Holz in Brand zu setzen. Zuerst stieg nur feiner Rauch auf, als das Gewirr aus dürrem Reisig und Birkenrinde, das zwischen die dünnen Stämme und Äste gestopft war, Feuer fing und den Duft kokelnder Zapfen verströmte. Die zarten Flämmchen wurden angefacht, bis der Brand in Wut geriet, das Holz erfasste und die aufgebahrte Leiche hinter einer Wand aus Flammen und beißendem Qualm verschlang. Die Lohe schlug hoch, zwang die Umstehenden, langsam zurückzuweichen, während die Frauen ihre Klage anstimmten.
    Es wurde Nacht, ehe der Holzstoß im prasselnden Feuer endlich zusammenbrach und einen Funkenregen gen Himmel schleuderte. Als die schwelende Glut den Scheiterhaufen in ein gespenstisches Licht tauchte, kehrten die ersten Dörfler heim, unter ihnen Inguiotars Familie, die Gritha mit sich nahm, damit die Greisin nicht alleine war. Zurück blieben einige Männer, die das Niederbrennen des Feuers überwachen sollten.
    Erst am folgenden Tag wurden die Überreste der Leiche in einer Urne gesammelt. Ein kleines Grab war ausgehoben worden, in dem einer der Männer stand und aus den Händen der Umstehenden die Totengaben empfing, um sie sorgfältig an den Wänden des Grabes aufzureihen; Kleidung, Dolche und ein Netz, eine Schale voller Fische, ein Korb mit runden Broten verschwanden in der Tiefe. Schließlich wurde dem Mann die Urne gereicht, die er unter den gemurmelten Gebeten der Umstehenden behutsam in der Mitte der Grube in den Boden steckte. Ringsum ordnete er rund geschliffene Kiesel an und sicherte das Aschegefäß mit einem schweren Stein, ehe er sich heraufhelfen ließ.
    Während die niedrige Grabkammer verschlossen und die Grube mit Erde gefüllt wurde, vollzog Ahtareths’ Helferin eine Vielzahl sonderbarer Gesten, die Cinna unverständlich blieben. Aus der Feierlichkeit ihrer Bewegungen schloss er, dass es sich um Gebete und Anrufungen handelte, die den Toten an diesen Ort bannen sollten. Sie hatten Cinna wortlos zu verstehen gegeben, sich während der Bestattung abseits zu halten, und so hielt er sich auch abseits, als sie ins Dorf zurückkehrten. Schließlich hatte er nur einige Gefäße tragen sollen, die nun ihren Platz in Godareths’ Grab hatten. Saldir ging einige Schritte vor ihm; kaum hatten sie das Gräberfeld hinter sich gelassen, begann sie zu trippeln und zu hüpfen, und der Wind trug ihr leises Summen zu Cinna.
    Er hörte das Winseln erst, als er Saldir erstarren sah. Etwas streifte ihn, dass er zusammenfuhr. In langsamen Sätzen sprang einer der Wachhunde ihm voraus – nein, kein Hund, zu fahl und zottig war der Balg.
    Der Wolf hechtete vorbei an Saldir, welche die Hände vors Gesicht geschlagen hatte, vorbei an Thauris, die ihre Arme nach dem Kind ausstreckte, eine Böschung hinauf, auf der er stehen blieb. Witternd hob er den schmalen Kopf und gab ein feines, lang gezogenes Winseln von sich, belferte dann und kratzte mit den Vorderpfoten Grasbüschel aus dem Boden, während ihn die Menschen atemlos beobachteten. Thauris umklammerte Saldir, ihre beiden Söhne tasteten nach den Dolchen. Niemand rührte sich.
    Der Wolf hielt inne, wandte sich zögernd um, als gehorche er einer fremden Stimme. Es war ein junges Tier, das mit dem Winterpelz sein Kinderkleid verlor. Vorsichtig setzte Cinna einen Fuß vor den anderen, missachtete Thauris’ warnenden Blick. Die funkelnden Augen des Wolfes irrten umher, hefteten sich auf den einzigen Menschen, der es wagte, sich zu nähern, und er legte den Kopf schief. Cinna

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