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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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drängte er den Strom zurück, verschluckte ihn mit den letzten Tropfen des Honigweins.
    »Hat er dich verraten?«
    Undeutlich schwamm vor Cinnas Augen ein ebenmäßiges Gesicht, umrahmt von halblangen, kastanienbraunen Locken, der vollkommene Körper eines Athleten, sein Lehrer in Logik und in den Grundlagen der Erkenntnistheorie, den er für seine Klugheit, seine Bildung und Eleganz bewundert, dessen Schönheit er vergöttert, dessen Gegenwart er genossen, ja ausgekostet hatte, selbst als ihre Beziehung die Regeln der Akademie überschritt, dem er vertraut, dem er sich fast völlig ausgeliefert hatte und der ihn schließlich wie einen rechtlosen Sklaven missbraucht hatte.
    Er wandte sich Hraban zu, erkannte in dessen hellen Augen sein eigenes junges Ebenbild, dieselbe Offenheit, dieselbe freudige Erwartung, dasselbe Vertrauen. Er war betrunken – beide waren sie betrunken. Doch er spürte nicht dieses brennende, nagende Verlangen, den anderen zu brandmarken, sich anzueignen wie einen Sklaven, sondern nur ein leises Bedürfnis nach dessen Nähe, nach Trost, ausgelöst durch das starke Gebräu aus vergorenem Honigwasser – nein, das war nicht alles, was er fühlte! Er genoss den Anblick, den Hraban bot, seitdem dieser jedes Wort, jeden Rat aufsaugte wie ein Schwamm, seinen Gegner wachsam beobachtete, seitdem seine Bewegungen geschmeidiger wurden, und er nicht mehr blindlings seine Kraft in jeden Angriff warf. Er lernte schnell.
    Cinna lächelte. »Perusia.«
    »Was meinst du?«
    »Mein Zuhause«, murmelte er heiser; die Zunge schien geschwollen und lag träge hinter den Zähnen. »Es ist Perusia. Vaters Villa.«
    Er erinnerte sich an Reitstunden bei dem fetten Verwalter, an erste Übungen mit einem kleinen Holzschwert, spielerische Kämpfe, die er mit dem tiefen Ernst gefochten hatte, der Kindern zu Eigen ist – unfähig, das Spiel zu erkennen, unfähig, das Lachen des Lehrers nicht als Gemeinheit zu deuten. Sein erstes Pferd, ein zierliches, schwarzes Pony, das ihn brav über die weiten Hügel getragen hatte, bis er zu groß geworden war. Sein Hund, ein gescheckter, zottiger Jäger, der zwar nicht gehorchte, aber ihm überallhin nachlief. Sein Kater, ein fauchender Fellball, den Gnaeus aus Ägypten mitgebracht und dessen Tod Cinna lange beweint hatte. Die weitläufigen Hügel, die Weingärten und Felder, in denen er mit den Sklavenkindern Verstecken gespielt hatte – ausgestattet mit sämtlichen Vorrechten, die dem Sohn des Herrn zustanden, spielverderberischen Vorrechten. Er war stets Sieger geblieben.
    »Ich … würde es dir gerne zeigen …«
    »Das dürfte schwierig werden. Ich glaube kaum, dass mir in nächster Zeit gestattet ist, einen Fuß auf italischen Boden zu setzen.«
    Sie blickten sich an, und brachen gleichzeitig in befreiendes Gelächter aus, das Cinna rücklings zu Boden warf.
    »Oh Bacchus, ich bin völlig betrunken!«, lallte er. »Ich werde hier schlafen müssen.«
    »Keine Sorge, ich werde dich zum Haus bringen, ehe es zu regnen anfängt.« Hraban wies gen Westen, wo sich über den Hügeln dunkle Wolken sammelten, und streckte Cinna einladend die Hand entgegen.
    *
    Obwohl alle Männer mit der Befestigung der Mauern beschäftigt waren, stellte niemand Forderungen an Cinna oder erteilte ihm Befehle. Sie schienen ihn nicht zu beachten, gingen ihrer Arbeit nach, als er ratlos nach den Kübeln griff und in den Schuppen kletterte, um Futter für die Pferde zu holen. Sein Kopf prallte an den Türrahmen, fluchend ließ er die Kübel fallen und rieb die schmerzende Stelle, ehe er sich vorsichtig hinausschob. Draußen wartete Saldir, in den Händen Krug und Becher haltend, und schaute zu ihm auf. Er stieg die kurze Leiter hinunter, stellte die Kübel auf den Boden und stand nun mit hängenden Armen vor ihr. Doch sie schwieg.
    Erst nach einer Weile goss sie gesäuerte Milch aus dem Krug in den Becher, den sie ihm reichte.
    »Nun?«, ermunterte er sie, nachdem er getrunken und sich die Lippen mit dem Handrücken abgewischt hatte, eine Geste, so vertraut, dass er sich kaum mehr erinnern konnte, sie jemals als Unsitte angesehen zu haben.
    Sie schaute auf ihre Fußspitzen, die leicht nach innen wiesen, hielt den Krug vor dem Bauch und schwieg. Erst als er ihr den Becher zurückgab und Anstalten machte, mit dem Futter zur Weide zu gehen, flog ihr Kopf zurück.
    »Danke«, murmelte sie.
    »Wofür?«, fragte er. »Ich sollte mich bedanken, dass du mir etwas zu trinken bringst. Ich tue nur meine

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