Der Tribun
Arbeit.«
»Das meinte ich nicht.« Ihre Stimme erstickte; sie räusperte sich. »Für Mutters Leben und meines. Für Gunthis. Und Swintha.«
Nun war es an ihm zu schweigen und zu schlucken. Sie fröstelte in dem Wind, der über den Hof wehte und mit den zartgrünen Grasbüscheln spielte, die zwischen den Steinen aus dem Boden lugten. Cinna streckte die Hand aus und legte sie unter Saldirs Kinn, hob ihr Gesicht und strich ihr über die Wange. Sie war ein hübsches Kind mit ihren klugen, hellen Augen, der Stupsnase, die an der Wurzel eine Mulde bildete, und dem entschlossen vorgereckten Kinn. Ein Lächeln trieb Grübchen in ihre Wangen.
»Die Männer können dich sicher brauchen«, sagte sie. »Um die Pferde kann ich mich kümmern.«
»Kannst du das?« Er hob die Brauen. »Wirst du alles richtig machen?«
Ihr Gesicht leuchtete vor Eifer. »Cheimon zuerst – sonst keilt er und schreit. Dann Thusna und Wilja. Und zuletzt die anderen.«
Er spürte das Grinsen warm auf seinem Gesicht. »So ist es. Aber zuerst bringst du die Milch ins Haus zurück.«
Schnell wie ein Fohlen stob sie davon, ließ ihn einfach stehen. Kopfschüttelnd schlug er den Weg zum Tor ein. Sie hatte Recht, die Männer, welche die Mauer verstärkten, brauchten ihn nötiger als die Pferde.
Die Arme waren taub vom Gewicht der Bohlen und der Wucht der Hammerschläge, die Beine schwer und die Füße ohne jedes Gefühl, als Cinna nach Einbruch der Nacht hinter Margio unter die Decken kroch und kaum die Kraft hatte, um einen leichten Schlaf zu bitten. Er hatte ihnen in nichts nachgestanden, obwohl er sichtlich kleiner war, er hatte sich keinen Augenblick lang geschont. Unter den Nägeln saß schwarz das geronnene Blut, die Handflächen waren aufgeschürft und mit Splittern gespickt, Knie und Ellbogen zerschunden. Doch das nötige Holz war gefällt und behauen, stapelte sich an der Rückseite der Mauer; morgen würde die Palisade erneuert werden, stärker als je zuvor, und – er streckte sich behaglich bei dem Gedanken – sie würde ein neues Gesicht erhalten.
Als Cinna den Ruf hörte, drehte er sich um und sah, dass Hraban neben seinem Vater den Weg herunterkam und ihn zu sich winkte. Cinna beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten; die Augen hielt er gesenkt.
»Erkläre meinem Vater deinen Vorschlag.«, Cinna straffte sich, blinzelte in das Gesicht des Alten, der ihn stumm musterte.
»Die Mauer ist solide gebaut und bietet den Verteidigern Schutz gegen Angreifer, die hinaufzuklettern versuchen.« Cinna machte eine Pause. Er rang nach Worten. Er wusste genau, was er sagen wollte, hätte seinen Entwurf mühelos zeichnen können, so wie er ihn am vorangegangenen Tag vor Hraban in den Sand gezeichnet hatte. Aber er kannte die richtigen Worte in ihrer Sprache nicht und seine eigene war ihm fremd geworden. »Teile der Palisade sollten höher sein als der Rest. So hoch, dass sich die Verteidiger dahinter verbergen können.«
Inguiotar hob eine Braue und reckte den Hals. Hrabans verstecktes Grinsen ließ Cinna hoffen, das Wohlwollen des Alten erregt zu haben. Fieberhaft suchte er nach passenden Worten für eine Begründung, knetete den Stoff seiner Hose zwischen den Fingern. Als Inguiotar ihm mit einem aufmunternden Nicken zu verstehen gab, er solle fortfahren, blieb er stumm wie ein Schwachkopf.
Inguiotar blickte sich um, dann wies er auf einen Holunderbusch am Wegrand. Zögernd brach Cinna eine Rute ab und wischte die zarten Blätter herunter. Mit wenigen Strichen zeichnete er die Linie einer von Zinnen gekrönten Brustwehr in den Staub. Noch immer sah Inguiotar ihn wortlos an, zog die Brauen hoch und schien nicht zu verstehen.
Enttäuscht ließ Cinna den Zweig fallen und wandte sich zur Seite. Er war nicht in der Lage, dem Alten zu erklären, was er meinte, wenn dieser nicht die einfachsten Grundbegriffe des Lagerbaus kannte.
»Du kannst es ihm in deiner Sprache erklären«, sagte Hraban.
»Wirst du es ihm übersetzen?«
»Das ist nicht nötig«, erwiderte Hraban.
Cinna stutzte. Ein vergnügtes Grinsen grub sich in Inguiotars Mundwinkel, halb verdeckt von seinem dichten Bart, aber das Aufblitzen seiner Augen verriet ihn. Cinna wurde klar, dass sie ihn genasführt hatten; Inguiotar verstand seine Sprache und sicher auch Thauris. Leise lachend schüttelte er den Kopf.
Seit einer langen Reihe von Tagen hatte er nur noch während der seltener werdenden Unterrichtszeiten seine Muttersprache benutzt, und das rächte sich nun. Zwar
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