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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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einfach ausgeliefert hättet.«
    Ein Kiesel schoss weit über das Wasser, bis er aufplumpste und versank. Stirnrunzelnd bemerkte Cinna, wie das süße Gebräu seine Vorsicht zermürbte.
    »Du tätest besser daran, uns zu vertrauen. Wir werden dich nicht ausliefern. Du bist nicht irgendein Gefangener – du bist eine sehr wertvolle Geisel.«
    »Gut zu wissen«, knurrte Cinna, den angebotenen Schlauch nahm er trotzdem und spülte den Verdruss mit einem großen Schluck des vergorenen Honigwassers hinunter.
    »Die Götter werden dich beschützen«, prostete Hraban ihm im Gegenzug zu. »Sie haben dein Leben bis jetzt bewahrt, und sie werden es weiterhin tun.«
    Cinna schnaubte verächtlich. »Welche Götter?«
    Mit offenem Mund staunte Hraban ihn an, bis er sich von ihm abwandte. Cinnas flackernde Gedanken warfen Lichter auf das wohl geordnete Pantheon der Philosophen, diese Hirten, welche die Menschen als ihre Herden hüteten und nicht duldeten, dass sich einer davonstahl. Ganz anders zeigte sich dagegen die bunte Gesellschaft der Götter und Geister, denen die Barbaren huldigten, Wesen, die hassten und liebten wie die Helden des Homeros. Grausame Polterer die einen, die anderen boshaft und launisch, ließen sie sich gelegentlich durch Geschenke bestechen. Doch unter keinem Namen erhörten sie ihn.
    Cinna legte das Kinn auf die Knie, starrte über die Wasseroberfläche hinweg, die sich unter dem Wind kräuselte, und lauschte teilnahmslos dem Wellenschlag am unterspülten Ufersaum. »Ich will doch nur nach Hause …«
    »Nach Hause? Wo ist dein Zuhause?«
    Der Schlauch wanderte zwischen ihnen hin und her und hatte inzwischen deutlich an Gewicht verloren.
    »Weiß nicht …«, murmelte Cinna. »Zumindest ist es nicht Rom – das Haus ist schrecklich. Ein finsteres Labyrinth … Und du kannst nicht ohne Leibwächter auf die Straße gehen.«
    Ohne hinzusehen, ertastete er einen vollkommen runden Kiesel und rollte ihn in den Fingern, bis alle Erdkrumen abgewischt waren. Er schleuderte den Stein über den See und schüttelte dabei Hrabans Hand ab, die sich tastend auf seine Schulter gelegt hatte.
    »Ein großes Haus?«, fragte Hraban vorsichtig.
    Cinna setzte den Schlauch ab und nickte. »Sehr groß. Und sehr dunkel. Ich hasse es. Rechts neben dem Eingang ist eine Kneipe, links hat dieser Teppichhändler seinen Laden, dieser … wie heißt er noch? Er beschwert sich jeden Tag, dass die Betrunkenen vor seinen Laden kotzen. Und dann streitet er mit dem Wirt, dem fetten Calathus, der ständig mit der Miete im Rückstand ist.«
    Er lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, doch als der Magen sich kalt zusammenkrampfte, fuhr er wieder hoch. Für kurze Zeit hielt er den Atem an und presste den Handrücken auf den Mund. Hraban saß stumm neben ihm.
    »Und über ihnen haust diese Manilia mit ihren drei Töchtern. Mehr ein Molosserhund als eine Frau … Witwe … hält ihre Mädchen kurz und sperrt sie unter dem Dach ein. Wir bekamen sie niemals zu Gesicht. Selbst wenn die Alte zu den Matronalia auf den Capitolinus zog, mussten die armen Dinger zuhause bleiben. Wahrscheinlich weil sie hässlich sind wie die Nacht.«
    Den gluckernden Schlauch in der Linken pendelnd, grinste er Hraban an, der ihn musterte – vermutlich weil er in all den vergangenen Monaten noch nie so viel geredet hatte wie an diesem Nachmittag. Welche göttliche Macht auch immer für dieses Gebräu zuständig war, sie focht mit denselben Waffen wie Bacchus und löste die Zunge. Wenigstens ein Gott, der seine Macht an ihm zeigte. Erinnerungen stellten sich ungefragt ein und beanspruchten Gastrecht, der Anblick der farbenfrohen Akropolis, des bunten Durcheinanders von Menschen und Marktständen auf der Agora drängte sich auf.
    »Athen gefällt mir besser – obwohl die Stadt vor Dreck starrt.« Gedankenverloren ließ er eine Hand voll Steinchen ins ufernahe Wasser prasseln. »Die Akademeia liegt außerhalb. Eine wunderbare Anlage – du findest alles, was du als Student suchst: Hörsäle, eine Palaistra und Gärten, Altäre und Haine, Schlafsäle für die Studenten und für die Lehrenden kleine Häuser … Und alles ist sauber. Viel sauberer als das Haus der Demokleiden …«
    »Demokleiden?«
    »Die Familie des … Androkleos.« Cinna stieß den Namen hervor wie einen Fluch. »Er war mein Lehrer … ein Freund … ein sehr, sehr enger Freund. Bis er …«
    Er kaute auf den Lippen. Die Worte stauten sich in der Brust, ließen ihn kaum noch atmen; nur mühsam

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