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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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ihnen entgegen, eingehüllt in einen weißen Mantel, das helle Haar zu dem üblichen Knoten aufgedreht. Cinna holte tief Luft, weil sich ihm die Kehle zuschnüren wollte, und brachte den Fuchs zum Stehen, als Liuba dem Vater lächelnd beide Hände entgegenstreckte. Nach kurzem Zögern glitt Inguiotar vom Pferd und trat zu seinem Ältesten, sie wechselten einige Worte, dann wurde Inguiotar heftig umarmt. Liuba hakte sich bei ihm ein und begleitete den Vater, der sein Gefolge die Anhöhe hinaufführte, als Hraban und Inguiomers, noch immer zu Pferd, wieder heranpreschten. Die Brüder begrüßten sich freudig – Was hatte er erwartet? Sie waren schließlich Brüder – und setzten ihren Weg gemeinsam fort.
     
    Ein kleines Haus, das innerhalb der Mauern dieses Dorfes lag, war Inguiotar als Quartier zugewiesen worden; die eigentlichen Bewohner mussten es für die Zeit seines Aufenthaltes räumen. Stirnrunzelnd ließ er die Blicke durch den Raum wandern, ehe er Cinna schließlich einen Platz im hintersten Winkel zuwies, den Platz, der am weitesten vom Eingang entfernt war.
    Ein Mädchen stürmte zur offenen Türe herein, stieß einen hellen Ruf aus, der von Saldir mit einem Jauchzer beantwortet wurde. Als sie Thauris an die Brust flog, schlang Saldir ihre Arme um beide und schmiegte sich an sie. Sie flüsterten, schnieften, schluchzten. Hraban trat zu ihnen und wurde augenblicklich in die Umarmung einbezogen.
    Außer den sandfarbenen Bundschuhen, dem hellen, mit fein gewebten Bordüren gesäumten Kleid, dem fransenbesetzten Umhang, dem Schleier hatte Cinna nichts von diesem Mädchen gesehen. Aber ihre Stimme traf ihn wie ein feindliches Geschoss, drang im Nacken ein, dicht unter dem Haaransatz, dass sich der dünne Flaum sträubte. Sunja löste sich von ihrem Bruder, ihre Hand strich über Inguiomers’ Wange, dann wandte sie sich dem Vater zu, dem sie mit überraschender Innigkeit den Kopf an die Schulter legte. Während sie halblaut ein paar Sätze wechselten, fiel ihr Blick auf Cinna. Ihre Augen leuchteten, aber sie schien ihn nicht wahrzunehmen, wie er erbittert feststellte.
    Tapfer bekämpfte er die Erkenntnis, dass ihr im Herbst flüchtig aufgeflammtes Interesse längst wieder erloschen war wie die Aufmerksamkeit, die eine Raupe im Haar erregt, ehe sie mit spitzen Fingern aus ihrer Zuflucht entfernt wird. Die Anmut des Mädchens schlug ihn in ihren Bann und ließ ihn an seiner Vernunft zweifeln, und dennoch war sie nur eine Barbarin, die bald einem Barbaren zur Frau gegeben und diesem Barbarenkinder gebären würde. Lautlos zog er sich zu seinem Nachtlager zurück. Er wagte nicht, sie mit der Offenheit zu betrachten, die ihm ihre Anwesenheit abforderte, während sich ein schleichendes Gift in seinen Adern verteilte und ihn frösteln ließ.
     
    Nachdem das Gepäck verstaut und die Pferde versorgt waren, gab es nichts mehr zu tun. Jeder noch so kurze Aufenthalt im Freien löste ein wisperndes Lauffeuer aus, ein Rascheln und Huschen und das Aufflammen zahlloser Augenpaare ringsumher. Sogleich flogen Holzstückchen, Lehmklümpchen, winzige Kiesel, deren feines Prasseln endete, sobald Hraban oder Inguiotar einen scharfen Blick in die Runde warfen. Deshalb vermied Cinna jeden Gang nach draußen, seitdem Inguiotar mit seinen Söhnen das Gästehaus verlassen hatte – um Genaueres über die Lage zu erfahren, wie er sagte –, obwohl das Wissen um seine Feigheit an ihm nagte. Es bereitete ihm wenig Mühe, sich erschöpft zu geben; ungeübt wie er mittlerweile war, hatte ihn der lange Ritt zermürbt. Thauris verabreichte ihm einen Becher von dem Bier, das Sunja mitgebracht hatte, und wies ihn in seinen Winkel.
    Das Flüstern der Frauen, begleitet vom Knacken und Knistern des Herdfeuers, hätte ihn einschläfern sollen, stattdessen lag er mit dem Rücken zu ihnen auf dem engen, viel zu kurzen Lager, das er mit seinem Bündel teilte. Jeder Schritt, jeder Hufschlag ließ seine Lider hochfliegen. Inguiotars Männer waren irgendwo in der riesigen Zeltstadt untergebracht, sofern sie nicht zur Bewachung von Wagen und Maultieren am anderen Ufer des Flusses zurückgeblieben waren, der Herr selbst unternahm mit seinen Söhnen Anstandsbesuche, außer Cinna hielten sich nur Thauris und ihre beiden Töchter in diesem Haus auf – welch ein Schutz! Nachdem die Mädchen zu Bett gegangen waren, saß Thauris allein beim Feuer, und ihr leises Summen wurde immer wieder von nächtlichen Vogelrufen übertönt.
    Schwere Schritte rissen Cinna aus

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