Der Tribun
Varus, der ihm die Furt am Fluss Visurgis zeigte, diese wichtige Kreuzung zweier Handelswege, welche damals das römische Heer kontrollierte. Die Cherusker, deren waffenfähige Männer in den Hilfstruppen dienten, überwachten den Fluss auf seinem Weg durch das Gebirge und somit auch diese Furt; das römische Heer wiederum überwachte die Cherusker – hatte sie überwacht! Cinna vergrub sein Gesicht in Cheimons dicker Mähne und überließ sich dem kreiselnden Farbenspiel hinter den Augenlidern, das der Blick in die Sonne ausgelöst hatte.
Den Besucher sah Cinna erst, als er nach der Rückkehr den Fuchs mit Strohbüscheln trockenrieb und die Reste des stumpfen Winterhaars ausbürstete, bis das Fell in der Sonne glänzte wie Metall. Der Mann wandte ihm den Rücken zu, ein wenig beeindruckender Krieger, der dazu neigte, Fett anzusetzen. Seine Kleidung war tadellos, der Mantel mit bunt gewebten Borten und Fransen gesäumt, und das hellblonde Haar fiel in dicken Locken über seine Schultern. Zuerst vermutete Cinna, der Fremde wollte Inguiotar seine Aufwartung machen, obwohl dieser sich bereits am frühen Morgen zu weiteren Beratungen aufgemacht hatte. Dann klang Sunjas Lachen auf, und er erkannte, dass der breite Rücken sie verdeckte. Sie trat neben den Mann, in den Händen die gleichen Blumen wie die, welche die Mädchen am Fluss gepflückt hatten, und ging an ihm vorbei zum Weg. Als sie langsam den Hang hinaufschritt, drehte der Mann sich um und trabte neben ihr weiter, während sie sich über die Blüten beugte, als wolle sie deren Duft prüfen – in Wirklichkeit, um das Lächeln zu verbergen und ihre Stimme zu dämpfen. Überall versuchten Mädchen auf die gleiche Weise zu verhehlen, dass sie die Gegenwart eines Mannes genossen.
Der Fuchs beantwortete das heftige Kratzen des Strohs mit einem unwilligen Murren und tänzelte zur Seite. Beruhigend strich Cinna ihm über die Brust, fuhr dann mit dem Striegeln fort. Der hellhaarige Mann war zweifellos der Freier, von dem Hraban gesprochen hatte. Es war an der Zeit, dass diese alte Jungfer unter den Schleier kam. Fürwahr keine leichte Aufgabe für ihren Vater, eine Familie zu finden, die bereit war, sie in ihr Haus aufzunehmen, ein Mädchen, das sich sicher nicht mehr zurechtbiegen ließe.
Erst als der Fuchs den Kopf nach ihm herumwarf, bemerkte Cinna, dass er gedankenverloren ein Büschel vom grauroten Winterfell zwischen den Fingern zu einer Kugel gerollt hatte. Kopfschüttelnd warf er das Ding von sich und musterte die satt schimmernde Decke des Pferdes. So lange hatte er noch nie für eine Seite gebraucht. Er umrundete den Hengst, strich ihm über die Nase, wobei er den schnappenden Lippen auswich, die in seiner Hand einen Leckerbissen suchten. Stattdessen griff er in dem aufgeschütteten Strohhaufen nach einem frischen Büschel. Als er begann, den Hals des Pferdes mit den gewohnten gleichmäßigen und kräftigen Strichen abzureiben, schnaubte Cheimon leise und streckte sich wohlig.
Die Sonne stieg zu ihrem höchsten Punkt auf, ein ferner Feuerball, der nicht viel Kraft hatte in diesem Land, und dennoch reichte es, die Knospen zu sprengen und Cinna zum Schwitzen zu bringen. Einzelne bewaffnete Männer verließen die Häuser und Zelte, sammelten sich am Tor, gefolgt von den wenigen Frauen, die ihre Männer, Väter und Brüder hierher begleitet hatten. Sie machten sich auf den Weg zu der angekündigten Versammlung, während der die Häuptlinge und Fürsten ihre Beschlüsse vorlegen würden, um sie von ihren Gefolgsleuten billigen zu lassen. Cinna verdrängte den Gedanken, Arminius könnte seine Forderungen bereits durchgesetzt haben – dass er sie vorbringen würde, stand für ihn außer Zweifel.
Brüsk warf er das Büschel zu Boden, trocknete die schweißnassen Hände an der Hose, ehe er wieder in den Strohhaufen griff. An Kruppe und Hinterhand war das Winterfell besonders hartnäckig. Und dann klang wieder Sunjas Lachen auf, deutliches Zeichen, dass sie sich vergnügte. Cinna fragte sich, ob sie in Begleitung des Fremden hinuntergehen oder auf Vater und Bruder warten würde, als ihn eine Bewegung aufmerken ließ.
Sie stand vor dem Fuchs und streichelte die Blesse; Cinna konnte ihre Füße und die des Fremden unter Cheimons Bauch hinweg sehen und richtete sich langsam auf. Sie flüsterte, lachte leise, und der süße Klang ihrer Stimme traf ihn in die Magengrube und ließ die Ohren brausen. Ein einziger Blick, der aus den Augenwinkeln zu ihr flog,
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