Der Tribun
dem Halbschlaf. Die Tür wurde geöffnet und Thauris’ Gruß von einem Gemurmel beantwortet, das unverkennbar aus Inguiotars Mund stammte. Erleichtert zog Cinna die Decke fester um sich.
»Wo sind die Jungen?«
»Jungen?« Inguiotar gluckste erheitert. »Kannst du dir nicht vorstellen, dass die drei Besseres zu tun haben, als im Bett zu liegen? Vermutlich sind sie dort, wo alle jungen Männer jetzt sind – wo immer das sein mag.«
Das Rascheln von Tuch verriet, dass Thauris ihrem Mann den Mantel abnahm und faltete; Inguiotar trank, was sie ihm eingeschenkt hatte, stellte den Becher mit einem Laut des Behagens ab und gab seiner Frau einen Kuss – all das in der ihm eigenen geräuschvollen Art, die ein Grinsen in Cinnas Mundwinkel lockte.
»Wir werden morgen einen schweren Tag haben«, brummte er. »Unser junger Freund Ermanamers hatte im vergangenen Jahr alle, die früher in den Hilfstruppen gedient haben, feierlich auf sich eingeschworen, bevor er diesen Hinterhalt legen ließ. Nach der Schlacht verfügte er über ein Heer wie Marhabadws. Doch nachdem die Männer über den Winter bei ihren Familien und in ihren Dörfern waren, unterstehen sie nun wieder ihren eigentlichen Herren, uns, den Fürsten. Jetzt muss er dieses Heer neu aufbauen, muss um unsere Hilfe und unser Vertrauen werben, während sich der Feind an den Grenzen ordnet.« Er räusperte sich. »Nachdem die Männer über den Winter den Frieden genossen haben, verspüren sie neuen Tatendrang. Sie verehren ihn als den Tapfersten der geweihten Krieger, und es wird schwer sein, sich seinen Forderungen entgegenzustellen.«
Cinna starrte das mürbe Geflecht der Wand an, während die Kälte zwischen die Decken kroch. Arminius konnte auch ihn fordern, er hatte es schon mehrmals getan, er würde es wieder tun. Als ehedem hoher Offizier einer der Legionen, denen nun der Schutz der Belgica oblag, verfügte Cinna über Kenntnisse, die der Aufrührer für einen Einfall in die Provinz gut gebrauchen konnte. Die Berührung der Schlange fuhr Cinna in die Glieder und verdrängte das feine Gift.
»Aber es gibt etwas, was uns zuarbeitet«, fuhr Inguiotar fort. »Er hat nur drei Tage, und alles, was er nicht rechtzeitig vor die Heeresversammlung bringen kann, können wir in Verhandlungen für uns entscheiden. Wir Fürsten müssen also noch ein bisschen heftiger streiten, als wir es ohnehin schon tun.«
*
Am folgenden Morgen wies Hraban Cinna an, mit den Pferden zum Fluss hinunterzugehen, bevor er selbst auf seinen Fuchs sprang und vorneweg durch die Zeltstadt den Hang hinunterritt. Cinna hielt Abstand, und sie wechselten kein einziges Wort. Wohin sie auch kamen, erhoben sich die Leute, stemmten die Fäuste in die Seiten und reckten die Hälse, und Cinna spürte ihre Neugier und Feindseligkeit, den Triumph, der in den Blicken lag. Das Gerücht war ihnen längst vorausgeeilt, und nun führte Inguiotars Sohn die Geisel vor, keinen gemeinen Legionär und italischen Bauernsohn, sondern einen leibhaftigen Tribunen, einen Stabsoffizier, Abkömmling einer langen Reihe adliger Männer, Consuln, Praetoren. Ein Mann, zu dem sie vor wenigen Monaten noch ehrfürchtig aufgeblickt hätten, der das zweifelhafte Glück hatte, nicht zu Varus Heer gehört zu haben und so den Opfermessern entgangen zu sein, und der jetzt als Knecht die Pferde seines Herrn zur Schwemme führte. Cinna schluckte schwer und krampfte die Finger um die Riemen, während er zwischen den Pferden ging, den Nacken gebeugt; er kämpfte mit den Tränen, welche die Scham in seine Augen trieb.
Am Ufer trafen sie auf Mädchen, die sich von ihnen fern hielten, während sie Blumen pflückten – nicht ohne den Fremden zu beobachten und die Köpfe tuschelnd und kichernd zusammenzustecken. Der Fluss war breit und wälzte sich träge über die flachen Uferbänke in dieser weiten Schleife, die sich an den Bergen entlangzog. Nahe dem jenseitigen Ufer durchquerten einige Männer das Wasser, das ihnen bis zur Brust reichte, und balancierten große Bündel auf den Köpfen. Flöße, die dem Transport schwerer, sperriger Lasten dienten, waren auf den Kies gezogen worden.
Cinna blinzelte gegen die Sonne, während er die Linie der waldigen Hänge hinter dem jenseitigen Ufer verfolgte. Er war schon einmal in dieser Gegend gewesen, im Frühsommer des vergangenen Jahres, von einem kahlen Bergkamm hatte er nordwärts über die Flussschleife geschaut, neben sich den geschwätzigen Quintus Ceionius, Lagerpräfekt unter Quinctilius
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