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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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verstummt waren. Sie wollten, dass er zu ihnen sprach, dass er ihren Helden feierte und er entschied, ihnen diesen Gefallen zu tun – und denen, die mit ihm auf dieser Bühne standen, die Augen zu öffnen.
    »Dieser Aufgabe opferte er all seine Ehrungen, all sein Ansehen, ja sogar seinen Treueid. Denn wenn der kühne Plan gelänge, dann wäre eure alte Freiheit wiederhergestellt und eure Fürsten würden wieder über euch Recht sprechen nach altem Brauch. Und wer stünde dann noch über ihm? Wer könnte noch neben ihm bestehen, wenn die fremden Herren erst vertrieben waren?«
    Im Verklingen seiner eigenen Stimme bemerkte er, dass die Menschen ihn kaum noch hören konnten in dem Aufruhr, der sich erhob. Die einzelnen Schreie schwollen zu einem misstönenden Konzert, viele trommelten mit den Schwertklingen, mit den Lanzenschäften auf die Schilde. Das wirre Getöse ordnete sich, wie sich der Marschschritt der Legionäre allmählich angleicht zu schrecklichem, erderschütterndem Stampfen. Ein rascher Blick in die Runde der Fürsten verriet Cinna, wie unbehaglich diesen die Begeisterung der Krieger war, und als er in Arminius’ Augen sah, glomm Misstrauen darin.
    »Wenn ihr unter seiner Führung den letzten Sieg erfochten habt, wenn ihr ihm durch eure Treue die höchsten Ehren, die größte Macht verliehen –«
    »Schluss jetzt!«, fuhr ihn der Kerl an, der ihn geschlagen hatte. »Wir haben genug gehört! Du willst uns mit deinen Schmeichelreden kirre machen, damit wir dich verschonen. Aber in einem hast du Recht: Wir fürchten keine römischen Heere, denn wir haben sie bereits besiegt! Und wenn sie wieder über den Fluss oder durch die Wälder in unser Land kriechen, werden wir sie wie die Hasen zurückscheuchen.«
    Das Getöse brach erneut los. Brüllend versuchten die Männer einander zu übertönen, Fäuste wurden gen Himmel gereckt, Spieße, nagelbewehrte Prügel und einzelne blanke Klingen. Einer der weiß gewandeten, mit weißem Stab und weißer Stirnbinde geschmückten Priester hob die Hände, um Schweigen zu gebieten, doch nur zögernd ebbte der Lärm ab.
    Cinnas Wange brannte noch immer, als er sich umdrehte, und sein Blick fiel in Arminius’ dunkel glühende Augen. Doch selbst wenn er ihn durchschaut hatte, unterlag sogar der Sieger über die Legionen von Vetera den ungeschriebenen Gesetzen dieser Versammlung, die ihm untersagten, den tollkühnen Gefangenen auf offener Bühne zu erschlagen.
    »Ich verlange die sofortige Auslieferung der Geisel!«, dröhnte er.
    Inguiotar straffte sich, reckte den Kopf etwas höher als zuvor. Cinna erkannte ein winziges Lächeln in seinem Bartgestrüpp, Fältchen um die verengten Augen, ein leises Nicken der Anerkennung. Der Alte hatte die Botschaft vernommen, die Cinna in Lobpreisungen verpackt hatte, die Warnung vor einem, der sich Erster unter Gleichen nennen würde, der sich Titel wie »Vater des Vaterlandes« oder »Erhabener« verleihen lassen würde, einem König, der sich auf die Begeisterung seiner Soldaten stützen und jeden Widersacher ohne Skrupel oder Zögern beseitigen würde. Arminius würde sie ebenso entmachten, wie die römischen Herren sie entmachtet hatten.
    Inguiotar war nicht der Einzige, der Cinna verstanden hatte, denn die Reihe der Fürsten geriet in Bewegung. Unverhohlen grinsend rückte Thiudawili dicht neben Inguiotar, gefolgt von Wakramers, dessen scharf geschnittene Nase deutlich an seine Schwester Thauris erinnerte. Schließlich drängte Badwareiks nach vorn, spuckte umständlich über die linke Schulter und gesellte sich zu Inguiotars Partei. Weitere folgten, unter ihnen Segigastis, während es still wurde; andere schoben sich in Arminius’ Nähe. Liuba verharrte mit vor der Brust verschränkten Armen in der Mitte, zwei senkrechte Falten durchschnitten seine Stirn, und seine Augen waren schmal.
    Einzelne Stimmen erhoben sich unter den Männern, Rufe schallten über den Platz. Irgendwo verwandelte sich die Menge in ein Gewühl. Eisen blitzte auf.
    Die beiden Priester stellten sich zwischen die gegnerischen Parteien, die sich stumm gegenüberstanden. Einer der beiden schloss seine Hand um Cinnas Oberarm, eine Hand, die ebenso kalt und feucht war wie seine eigenen. Deutlich spürte Cinna, wie ihm das Klopfen seines Herzens in den Hals emporstieg. Er zwang sich, langsam und ruhig zu atmen, langsam und ruhig.
    Sein Blick irrte suchend über das Meer von Köpfen hinweg, über die Reihen der Frauen, die sich in vorsichtigem Abstand von den Männern

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