Der Tribun
Stimmen über das Murren. »Er soll sprechen, wenn er etwas weiß!«
Arminius ließ seinen Blick über die Köpfe wandern, ohne eine Regung zu zeigen. Ein unauffälliger Wink hatte den übereifrigen Gefolgsmann wieder in die Reihen der Edlen zurückweichen lassen. Einer der beiden weiß gewandeten Priester berührte Cinna mit seinem Stab. Jemand schnitt seine Fesseln durch, und eine Hand zerrte ihn nach vorn, dicht an das straff gespannte Seil, das ihn von der Menge trennte. Er betastete seine Nase, die nicht gebrochen schien, und wischte das Blut an einem Fetzen seines Hemdes ab. Die Sprache der Barbaren kannte er mehr schlecht als recht, diese grollenden, schnurrenden, zischenden Laute, die ihm inzwischen vertrauter geworden waren, aber vielleicht nicht vertraut genug. Mit der Erinnerung an die raue Zunge des jungen Wolfes, seiner spitzen Zähne in den Händen stand er am Ufer dieses Meeres unkenntlicher Gesichter, blinzelte ins Sonnenlicht. Die kühle Luft wehte unverhoffte Gewissheit in seine Brust. Er fühlte den Beistand des Apollon, der den Weg wies, jetzt, da es um sein Leben ging, die auf Rhodos gelernte, niemals ernsthaft erprobte Kunst der Rede einzusetzen. Er wusste, was er sagen würde.
»Wie sollte ich mehr wissen als eure Häuptlinge und Fürsten? Ich lebe seit mehr als sechs Monden als Geisel auf Inguiotars Burg.
Zusätzlich zu den beiden Legionen unter Asprenas wurden sechs weitere in Eilmärschen herangeführt, Hilfstruppen zusammengezogen und frisch ausgehoben, die Lager stärker befestigt und ausgebaut – aber all das sind keine Neuigkeiten für euch.
Außerdem ist es kein Geheimnis, dass Augustus Besseres zu tun hat, als in seinem Haus auf dem Palatinus zu sitzen und die Toten zu beweinen. Dass er auf Rache sinnt, dass alle seine Gedanken darauf zielen, euch zu bestrafen, wie er seine früheren Widersacher bestraft hat: die Mörder seines Vaters, die Königin von Ägypten, die dalmatischen und illyrischen Fürsten. Denn in Caesar Augustus’ Augen ist Ermanamers ein Meuterer, ein Aufwiegler und Verräter, ein meineidiger Verbrecher, der keine Gnade verdient, und seine Mitverschwörer wird das gleiche Schicksal treffen, wenn sie zu ihm stehen – all das sind keine Neuigkeiten für euch.«
Unruhe hatte sich in der Menge erhoben; die einen grinsten in unverhohlener Häme, andere flüsterten mit ihren Nachbarn, und viele Stirnen runzelten sich. Insgeheim hatte Cinna befürchtet, er würde ihre Sprache nicht gut genug beherrschen, doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Seine einfachen Worte ließen sie an den eingezäunten Platz herandrängen, und als er verstummte, richteten sich alle Blicke auf ihn. Er verbat sich das Lächeln und ließ seine Augen scharf blitzen, wie sein rhodischer Lehrer es ihn gelehrt hatte.
»Es wird ein schwerer Gang werden. Viele von euch werden Opfer bringen müssen, die einen ihr Leben, die anderen Frau und Kinder, wieder andere ihr Land und manche sogar alles. Erinnert ihr euch an die Schlachten, die ihr geschlagen habt, um die alte Freiheit in einem großen Aufstand wiederherzustellen? An die Heere, die sich über eure Acker wälzten, eure Dörfer und Burgen dem Erdboden gleichmachten, eure Väter und Mütter erschlugen und eure Kinder und Frauen in die Sklaverei schleppten?«
Wütende Schreie ertönten, Flüche. Er hatte die Erinnerung geweckt an die blutigen Strafexpeditionen des Marcus Vinicius vor acht Jahren und an den brutalen Marsch, den Tiberius Caesar durch ihre Gebiete unternommen hatte. Viele waren zu spät aus den Widerstandsnestern in ihre Dörfer zurückgeeilt, um ihre Familien zu schützen, andere hatten sich in blindem Zorn auf die Eindringlinge geworfen, die Mörder ihrer Verwandten und Freunde, und waren im Geschosshagel gefallen – und deren Freunde und Verwandte standen knurrend und schnaubend vor Cinna wie die Versammlung der Plebs zu Füßen eines ihrer Tribunen. Namen jagten ihm durch den Sinn: die Brüder Gracchus, Livius Drusus, Saturninus … Die Männer vor ihm verwandelten sich in die gleiche formbare Masse wie die, welche an Versammlungstagen das Forum von Rom füllte, und er würde ihr durch seine Worte Gestalt geben, damit die Fürsten erkennen würden, wie es um die Macht stand, die Arminius ihnen wiedergegeben zu haben behauptete.
»Ich weiß, dass ihr diese Opfer freudig darbringen werdet, weil euch der Sieg sicher ist. Deshalb werdet ihr die Gefahr, einer fremden Macht tributpflichtig zu sein, freudig abwenden.
Ihr
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