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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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die Knie geschlungen, kauerte der Fremde im gegenüberliegenden Winkel und stierte Cinna an wie ein großes, bösartiges Tier. Langsam ließ Cinna die Hände sinken und legte sie auf die Oberschenkel. Er versuchte, Freundlichkeit und Zuversicht in seine Miene zu legen, aber entweder misslang es ihm, oder dieses Wesen hatte alle menschlichen Züge verloren.
    Der Wind trug das Lärmen der Versammlung vom Tal herauf; während Cinna den Blick ziellos über den Hof schweifen ließ, sah er Arminius’ kalt glitzernde Augen vor sich, das winzige Lächeln auf Inguiotars Gesicht. Dennoch hatte er eine giftige Saat gesät, sich die Zwietracht der Stämme, ihr gegenseitiges Misstrauen zunutze gemacht, um sein ehrloses bisschen Leben zu retten, um vor ihnen zu glänzen, um – ja, um Sunja zu beeindrucken.
    Als er sich dem Zellengenossen zuwandte, schmiegte dieser die Wangen auf die Knie, und seine Augen schimmerten nur noch wachsam.
    »Mein Name ist Gaius Cornelius Cinna, Sohn des Gnaeus und Enkel des Lucius. Ich war senatorischer Tribun der Ersten Legion.«
    Der andere schaute Cinna stumm an, seine Lippen bewegten sich, zuerst lautlos, während er nach Worten rang, dann stieß er sie mühsam und einzeln hervor. »Ihr … wart doch … gar nicht dabei …«
    »Ich war mit einem Sonderauftrag unterwegs.«
    »Nein …«, schluchzte der andere, krümmte sich, als wolle er in sich hineinkriechen, sich schützen vor Schlägen, die unausweichlich kommen würden. »Ihr wart nicht dabei. Ihr wart nicht dabei …«
     
    Die Sonne senkte sich über die Dächer und Zäune, kalte Nebelschwaden krochen heran und machten Cinna frösteln. Im gegenüberliegenden Winkel hatte sich der andere Gefangene in die übel riechende, aber wärmende Decke gewickelt. Als er mit einem heiseren Schrei aufschreckte, weckte das die Hunde, die erneut belfernd die Gitterstäbe bestürmten. Die einbrechende Nacht verschlang die Dämmerung. Noch immer drangen von ferne das Echo einzelner Stimmen und das Brausen der Menge herauf, unterbrochen vom dumpfen Dröhnen der Waffen. Cinna starrte in den veilchenfarbenen Flecken Himmel, dachte sich Linien zwischen die ersten blinkenden Sterne, die von den ziehenden Wölken verschlungen und wieder ausgespien wurden, bis ihm die Augen zufielen.
    Ein schneidender Windzug weckte ihn, der nicht daran gewöhnt war, im Freien zu nächtigen. Die Nacht warf lange, frostige Schatten von den schwarzen Wipfeln. Einer der Hunde kläffte leise. In wehenden Mänteln eilten zwei Gestalten Hand in Hand über den Hof, Mädchen, wie sich an den Röcken unschwer erkennen ließ. Sie rannten am Haus vorbei, schauten sich vorsichtig um, während ein weiterer Hund auf die Füße sprang und halblaut anschlug. Cinna umklammerte die Gitterstäbe, als er sie erkannte, obwohl sie ihre Mäntel wie Kapuzen über den Kopf gezogen hatten. Dann verschwanden sie hinter dem Haus. Es wäre sinnlos gewesen, sie zu rufen, wahrscheinlich sogar gefährlich. Er lehnte die Stirn an das hölzerne Gitter, starrte hinaus, dorthin, wo sie verschwunden waren, und wünschte sie sich inständig zurück.
    Wieder schlugen die Hunde an, und der andere Gefangene fuhr hoch, sein Gesicht erstarrt zu einer Maske der Angst, dann verkroch er sich mit einem leisen Winseln in den Schatten, während die Hunde knurrten und blafften.
    »Still!«, fauchte Sunja, und augenblicklich war nichts mehr zu hören als leises Grollen.
    Ihre angespannten Züge leuchteten unter der Kapuze hervor, der Zorn, der in ihren Augen schwelte, warf ihn zurück, als hätte ihn ein Bolzen getroffen. Seine Finger krampften sich um die Stangen.
    »Haben sie dich verletzt, Cai?«
    »Nein – aber was kümmert dich das? Reicht dieser Stall nicht?«
    Ihre Augen flammten auf, und er hätte sich ohrfeigen mögen für seine Worte, als Saldir auftauchte und dicht vor ihm in die Knie ging.
    »Du bist sehr mutig«, stieß sie leise hervor. »Ich wäre stolz, deine Schwester zu sein.«
    Er verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln.
    »Ich habe nicht alles verstanden, was du sagen wolltest, aber ich glaube, dass die Männer Arminius nicht folgen sollten«, fuhr sie fort. Ihre Stimme war ebenso ernst und feierlich wie ihre Miene, die ein Höchstmaß an Selbstbeherrschung spiegelte und den bitteren Klumpen in seiner Kehle zum Schmelzen brachte. Er tätschelte leicht ihre Schulter und ermunterte sie tonlos, sich zu erheben; erst als sie ihren Rock zusammenraffte und aufstand, zog er sich langsam am Holz hoch. Sunjas

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