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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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zu deuten, die Stäbchen, den Flug der Vögel, die Rufe der Raben und das Wiehern der weißen Hengste. Mit seiner Stimme zähmte er wilde Keiler und Wölfe, besänftigte den wilden Ochsen und den Bären. So wurde er zum Gottgeweihten.« Ahtala zuckte die Achseln, als wolle er die Erinnerung abschütteln.
    »Im zweiten Sommer nach Frowis Tod starb meine Mutter – Vater führte nie wieder eine Frau heim. Wir Kinder grollten. Wir begriffen nicht, dass Frija ihn noch immer an die Frau band, die unsere Mutter gewesen war. Er gab meine Schwester in das Haus seines Schwagers und mich zu Waihtis, seinem Bundesbruder, der mich das Handwerk des Kriegers lehrte.«
    Cinna musterte ihn fragend, fing einen Blick auf, der ihm das Herz dieses jungen Mannes preisgab. »Wozu erzählst du mir das?«
    »Ich war ein Kind, als ich mit Steinen und Pfeilen auf römische Legionäre schoss, die gegen unsere Burgen marschierten. Nach der Unterwerfung wurde Waihtis wie alle unsere waffenfähigen Männer zu einem Soldaten in einer cheruskischen Hilfstruppe, Liuba zu seinem Hauptmann und ich dessen Bursche. Später litt ich unter dem Stock des Centurio, der unsere Ausbildung durchführte. Im Heer des Sentius Saturninus zogen wir gegen Marhabadws, von da aus wurden wir ins Illyricum verlegt, um unter der Führung des Tiberius Caesar den Aufstand der Dalmater und Pannonier niederzuwerfen. Wir waren zwei fünfhundert Mann starke Alen tapfer kämpfender Cherusker, viele starben im Kampf, viele wurden ausgezeichnet.«
    Stumm beobachtete Cinna, wie ruhelos Ahtala mit einem dürren Zweig zwischen den Kieseln herumstocherte, krabbelnde Insekten aufscheuchte, die emsig ihre lichtscheue Brut davontrugen.
    »Ermanamers war unser Anführer. Er riss uns mit. Wir waren tapfer, weil er uns voranstürmte gegen den Feind, weil er weder schrecklich bemalte, waffenstarrende Krieger noch böse Geister fürchtete, weil er als Erster in die Schlacht rannte und als Letzter vom Feld ging – bluttriefend, mit zerschlagenem Schild, aber unverletzt, und an seinem Gürtel baumelten die Köpfe und Hände erschlagener Gegner. Selbst die Legionäre sprachen voller Bewunderung über ihn und nannten ihn ›Sohn des Mars‹. So fand er Eingang in den Kreis der römischen Offiziere, erwarb sich das Vertrauen der Legaten in den Beratungen, ja sogar das des Tiberius, der ihn und damit uns mit den gefährlichsten Aufgaben betraute. Unter seinen Fittichen wurden nicht nur sein Bruder Flavus und der Marser Sigimers, sondern viele andere Fürstensöhne wie Liuba zu Offizieren befördert. -Aber das weißt du ja bereits alles.«
    Aus Ahtalas Hand flog der Zweig weit hinaus über den Fluss, bis ein fernes Glucksen verriet, dass er von den Wellen mitgerissen wurde.
    »Und was hast du davon gehabt, dass Ermanamers dein Hauptmann war?«
    Ahtala fingerte einen weiteren Zweig aus dem Treibgut, zog die letzten Rindenfasern sorgsam vom blassgrau gebleichten Holz. »Ich war nur ein einfacher berittener Soldat, gehorsam gegen meinen Zugführer Liuba und voller Ehrfurcht für Ermanamers. Neben dem Sold waren mir ein paar Beutestücke zugeteilt worden, und ich hoffte auf die Belohnungen, die in Aussicht gestellt worden waren. Doch noch vor deren Auszahlung schickte man uns wieder in die Heimat, denn weite Gebiete des lllyricums waren befriedet, die Aufständischen in einem kleinen Gebiet der schwer zugänglichen Berge Dakiens zusammengedrängt.
    Im Spätherbst trafen wir in unseren hiesigen Lagern ein, doch die Zahlungen blieben aus. Der neue Legat, Quinctilius Varus, ließ uns durch Ermanamers vertrösten, ein ganzes Jahr lang. Wohlmöglich trug er nicht die geringste Schuld daran, hielt man auch ihn hin, aber er war der sichtbare Vertreter römischer Macht. Die Legionäre in den Standlagern jenseits des Rhenus wurden um ihre Vergünstigungen glühend beneidet, und der Groll gegen die Herren wuchs.«
    Während Ahtala die Beine an den Körper zog, die Arme darum schlang und das Kinn auf die Knie sinken ließ, entsann Cinna sich eines Wortwechsels in der Schreibstube des Lucius Asprenas, des hinkenden Schreibers mit der steilen Schrift, und eines Vortrags des Legaten über die wahre Berufung der Römer. Die Barbaren hatten gemurrt, es hatte Gerüchte gegeben über Umtriebe, und Legat Asprenas hatte Meutereien befürchtet.
    Ahtala räusperte sich. »Damals weihte Ermanamers uns ein in einen tollkühnen Plan: Wir, die im Lande verstreuten Hilfstruppen, die um ihren rechten Lohn betrogen worden waren,

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