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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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er sich und wandte sich zum Dorf zurück. Er nahm denselben Weg, den sie gegangen war. Noch immer schien ihr Duft über der Erde zu schweben, die ihre Füße berührt hatten. Einen Augenblick lang blieb er stehen, horchte in die Dämmerung, als berge die Luft ein Echo ihrer Stimme.
    *
    Die Vögel sangen in den Wipfeln, die Grillen und Heuschrecken ließen ihr sirrendes Lied ertönen, während das Licht einen goldenen Ton annahm, den Strohdächern und Knüppelzäunen schmeichelte. Die Schatten streckten sich über den Hof. In Ermangelung einer sinnvolleren Beschäftigung hatte Cinna sich auf der Bank vor Thauris’ Garten niedergelassen und bearbeitete die prachtvollen Beschläge der Schwertscheide, die einmal ihm gehört hatte, mit einem fettigen Tuch, als Sunja, einen bauchigen Krug im Arm, das Haus verließ und den Weg zum Brunnen einschlug. Ohne ihn zu beachten, ging sie an ihm vorüber, kein Gruß, den er hätte erwidern müssen. Tagelang hatte sie sich trotz des schönen Wetters im Grubenhaus aufgehalten, sie hatte die Wäscherinnen beaufsichtigt, das Heiligtum aufgesucht und war kaum einmal zur gemeinsamen Abendmahlzeit erschienen.
    Mit einem dumpfen Ton traf das Gefäß den Brunnenrand. Sie stand regungslos da und blickte in das Abendrot, das den Himmel aufflammen ließ. Ein leichter Wind spielte mit ihren Röcken und dem Tuch, das sie um die Schultern gelegt hatte.
    Reika eilte den Weg hinauf, das schwere Kleid mit den Händen gerafft, barfuß, und winkte. »Herrin, lass mich das tun! Das ist nicht deine Arbeit.«
    »Nicht meine Arbeit? Selbst wenn ich es will?«
    Unbeirrt umfasste das kräftigere Mädchen den Brunnenarm und zog und stemmte ihn bis zum Boden hinunter, so dass der Kübel im Schacht in greifbare Nähe gehoben wurde. Ein Vergleich der beiden musste grausam ausfallen, als habe jemand neben die Athena des Myron eine der kunstlosen Figuren abgestellt, die in ländlichen Heiligtümern zuhaut zu finden waren. Und diese Athena war sich des himmelweiten Unterschiedes zu ihrer grob geschnitzten Nachbarin deutlich bewusst.
    »Das ist eine hübsche Kette«, tönte Sunjas Stimme herüber, und der beißende Spott war nicht zu überhören. »Hast du sie von deinem Liebhaber?«
    Cinna blickte in ihre glitzernden Augen, die ihn abschätzig maßen. Das war nicht die Sunja, die ihm noch vor wenigen Tagen ihre Sehnsucht nach den Albaner Bergen offenbart hatte. Reika war einen Schritt zurückgewichen, sie stand mit gesenktem Kopf neben dem Brunnen und knetete die Hände in den Falten des Rocks.
    »Ich möchte dich nicht aufhalten, Reika – geh ruhig zu ihm und zeige dich erkenntlich«, setzte Sunja spitz hinzu und winkte dem Mädchen, sich zu entfernen.
    Langsam erhob Cinna sich und ging zum Brunnen, vorbei an Reika, deren Schulter er zur Begrüßung berührte. Sunja hatte sich über den Brunnenrand gebeugt, das Seil ergriffen, an dem der Kübel hing, und wollte ihn heraufziehen, als Cinna zu ihr trat, ihr das Seil aus den Händen wand und es mühelos einholte. Während er das Wasser in den Krug goss, nahm er nicht ohne Genugtuung wahr, dass sie mit flammend roten Wangen vor ihm stand.
    »Was bringst du sie jeden Tag hierher?«, zischte sie. »Dies ist nicht ihr Haus. Sie bringt Unheil – alle Männer ihrer Familie sind tot: ihr Vater, ihre Brüder, sogar ihr kleiner Sohn.«
    »Deine Mutter hat Reika niemals die Tür gewiesen«, erwiderte er schroff.
    »Wenn ich Vater richtig verstanden habe, steht es dir frei, für die Dauer deines Bleibens in ihr Haus zu ziehen.«
    »Willst du mir die Tür weisen?«
    Sie warf den Kopf zurück, riss den Krug aus seiner Hand, blitzte ihn wild an. »Anscheinend ist es wohl doch ein zu schäbiges Haus für den Sohn eines Consuls.«
    »Ich habe schon in schlechteren Herbergen Halt gemacht.« Er verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. »Kann ich sonst noch etwas für dich tun, Sunja, Inguiotars Tochter?«
    Wütend verstummte sie, tat einige Schritte zum Haus, und in dem flackernden Blick, der ihn traf, schlummerte eine Antwort auf sein spöttisches Anerbieten. Noch ehe er die Arme sinken ließ, wirbelte sie herum und stolzierte, so schnell es der überschwappende Krug in ihren Armen erlaubte, zum Haus zurück.
    *
    Margio rannte neben dem brüllenden Maultier den Weg zum Wehrdorf hinauf, ruderte mit den Armen und stieß heiser Hrabans Namen aus. Erst als er wieder zu Atem gekommen war und seine Stimme die des Tieres übertönte, erfuhren die Krieger endlich, was den Burschen in

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