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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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übrigen fielen in einzelne Verse ein.
    »Seinen Traum von einem zweiten Königreich neben dem des Marhabadws, einem Reich, das sich über die Stämme der Germania und Belgica erstreckt, kann Ermanamers jetzt getrost verloren geben«, brummte Hraban.
    Die Sängerin stand mitten in dem Kreis, den die Mädchen bildeten, und mit dem letzten Ton ihres Liedchens streckte sie beide Arme aus und griff sich eine aus dem Ring, um sie zu sich zu ziehen. Die Kette zerriss an dieser Stelle, wurde von der Ersten wieder geschlossen, und leises Kichern flog über Wiese und Hof, während Sunja umtanzt wurde. Sie warfen ihr Namen zu, wohl die Namen von Liedern, sie schüttelte jedoch nur den Kopf.
    »Ob es das wert war, so viel Blut zu vergießen?«, fuhr Hraban fort. »Ob dieses ungeheuerliche Schlachten nötig war, damit der Kampf zu einem ruhmreichen Sieg werden konnte? Immerhin haben erst Verrat, Meuterei und Verschwörung Ermanamers Verbündeten den Sieg ermöglicht und ihm die Aussicht auf eine Königswürde verschafft, wie Marhabadws sie trägt.«
    Ein klarer, sanfter Ton traf Cinna wie ein gut gezielter Nackenschlag, Sunjas Stimme und die Melodie, die sie sang, eine Melodie, die er kannte, die Erinnerungen weckte. Es war nur ein harmloses kleines Lied, aber seine Sprache aus ihrem Mund ließ ihn erschauern. Die Wunde, die ihm eine leichtfertige, gedankenlose Macht geschlagen hatte, schwärte noch immer.
    Hrabans Aufmerksamkeit galt indes ausschließlich den Überlegungen zur Lage. »Ob die Opferung aller Offiziere, derer man habhaft werden konnte, Wodanas und Teiwas befriedigt hat, weiß niemand zu sagen«, fuhr er fort, ohne den Blick zu heben, und weckte Cinna aus der Benommenheit nach dem Verklingen des Liedes. »Die meisten Krieger sind davon überzeugt, aber einzelne wie Ahtala kommen nicht damit zurecht, dass sie einen Schwur gebrochen haben. Andere mögen ihn als Helden ansehen, er selbst fürchtet den Zorn des Teiwas, der über die Eide wacht.«
    »Es war ein wirkungsvoller Plan, nicht nur drei Legionen und einige Hilfstruppen, sondern auch Varus und seinen gesamten Stab zu beseitigen«, erwiderte Cinna stirnrunzelnd. »Tiberius wird Monate, wenn nicht Jahre brauchen, um Männer zu finden, die diese Offiziere ersetzen können. Männer, die mit den hiesigen Verhältnissen vertraut sind.«
    »Er ist dabei, sie ausbilden zu lassen – zumindest über einen weiß ich das.«
    Sie tauschten einen schnellen Blick, und auf Hrabans Zügen glänzte einen Atemzug lang ein schelmisches Grinsen, ehe er wieder die Stirn in Falten zog. »Es muss doch einen Grund dafür geben, dass der letzte Spross einer bedeutenden Familie aus dem Senatorenstand in der Wildnis zurückgelassen wird.«
    »Das würde mein Vater nie zulassen!«
    Sunja hatte einen Wechselgesang angestimmt, ein Tanzlied ihres Volkes, in dessen Verse die anderen Mädchen immer wieder einfielen. Es hatte eine Zeit gegeben, da er selbst ein unbeholfener Knabe gewesen war, der von den Mädchen lachend herumgewirbelt wurde, wenn sie ihn dabei erwischt hatten, dass er hinter den Büschen gelauert hatte, um einen Blick auf ein hübsches Bein zu erhaschen.
    »Hat er denn die Macht dazu?«, fragte Hraban.
    »Er ist ein Enkel des Pompeius Magnus, ein Enkel jenes Lucius Cinna, der Sulla bekämpfte und viermal zum Consul gewählt wurde.«
    »Und vor ein paar Jahren war er sechs Monate lang Consul – ich erinnere mich, dass du das sagtest. Aber das alles genügt wohl nicht. Ist er vielleicht ein Gegner des Caesar Augustus?«
    Cinna sackte beinahe in sich zusammen; die Fröhlichkeit der Mädchen ging ihm durch Mark und Bein. »Ja, das ist er, ebenso wie sein Vater in späteren Jahren ein Gegner des Iulius Caesar war.«
    »Dann liegt es wohl in der Familie …«, murmelte Hraban. »Wäre es denn nicht äußerst genehm, diese Familie auszulöschen, indem man einfach schweigt? Hast du nie darüber nachgedacht?«
    Cinna ballte die Fäuste. Er hatte den Argwohn verdrängt und auf die mannigfachen Beziehungen seines Vaters, auf dessen Ansehen, den Klang seines Namens vertraut. Er hatte allein die Barbaren für störrisch und nicht verhandlungsbereit gehalten, doch vielleicht hatte er sich getäuscht. Während sich die heitere Melodie, die süße Stimme einen Weg in sein Ohr bahnte, bildeten sich Schweißperlen auf seinen Schläfen.
    »Sie schweigen, weil sie davon ausgehen, dass ich all mein Wissen preisgegeben habe – und siehe da: Sie haben Recht.«
    »Warum sollten sie davon

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