Der Tribun
ausgehen?«
»Es dürfte bekannt sein, dass ihr genauso wenig zimperlich seid wie unsere Offiziere und Magistrate, wenn es darum geht, sich Auskünfte zu verschaffen.« Zornig wischte er sich über das Gesicht und funkelte Hraban an.
»Das war nicht rechtens. Wir haben es unterbunden.«
»Aber nur, weil es ungefragt auf eurem Grund und Boden geschah.« Cinna konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte, und das entfachte seine Wut nur. »Manchmal hasse ich euch – das macht alles einfacher.«
»Du bist auf unsere Hilfe angewiesen. Wenn unsere und Dagumers Sippen verbunden sind, sind wir stark genug, um dich selbst gegen Ermanamers’ Willen auszuliefern.«
»Das klingt gerade so, als würde deine Schwester dafür geopfert, dass ich freikomme.« Cinna schnaubte verächtlich. »Danke, ich verzichte auf diese Wohltat. Sie verabscheut mich ohnehin, da wäre es zu viel verlangt –«
»Sunja dich verabscheuen? Warum sollte sie?«
»Warum würde sie sonst …« Er drehte sich hastig um, da er bemerkte, dass seine Finger den Stoff seiner Hosenbeine kneteten, und riss sie los. »Zumindest werde ich den Stab des Heeres insoweit beruhigen können, als es mit eurer Eintracht nicht allzu weit her ist und es nur eine Frage der Geduld ist, bis diese Provinz wieder an uns fällt wie ein reifer Apfel.«
»Sie werden dich benutzen, Cai. Du bist nur ein Werkzeug, mit dem sie nach Gutdünken verfahren.«
»Na und? Es wird mir ein Vergnügen sein, weiterzugeben, was ich weiß, und eines Tages mit einem Trupp Soldaten zurückzukehren, um Rache zu nehmen.«
»Zurückzukehren, um Rache zu nehmen? An den Ort, den du selbst geholfen hast zu befestigen? Als unser Feind?«
Das Lied verstummte, die Mädchen lachten und klatschten in die Hände, ihre Stimmen ließen den Zorn in sich zusammensinken wie eine erstickende Flamme, während das Echo seiner Worte in seinen Ohren dröhnte.
»Ich entschuldige mich. Es tut mir Leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
»Entschuldige dich bei Mutter, bei Saldir und Sunja, vielleicht auch bei Reika – nicht bei mir«, knurrte Hraban und wandte sich schroff ab.
Sanftes Abendlicht streichelte den Hang, dessen Boden noch warm war. Cinna kauerte am Rand des Grabens im halbhohen Gras und starrte in die Sonne, die tiefrot über dem Wald stand. Aus dem Tal näherten sich Frauen und Mädchen mit Körben, aus denen das Grün quoll, das sie gesammelt hatten. Sunja löste sich aus der Gruppe und schürzte den Rock, um den Hang hinaufzugehen. Als sie sich den beiden Kühen näherte, die Cinna dort angepflockt hatte, hoben die Tiere ihre schweren Köpfe und ließen sich geduldig tätscheln. Langsam umrundete Sunja jedes der beiden Tiere, strich mit den Händen über die knotigen Beine, und winkte ein letztes Mal den Frauen, die beim Tor auf sie gewartet hatten.
Kaum waren sie im Dorf verschwunden, trieb sie die Kühe auseinander und stapfte mit gesenktem Kopf auf Cinna zu, als wolle sie ihr Gesicht vor ihm verbergen. Erst wenige Schritte entfernt blieb sie stehen und blickte auf. Wie es sich gehörte, erhob er sich, doch ehe er sie begrüßen konnte, hob sie abwehrend die Hände. Einige Atemzüge lang verharrten sie in stummer Verlegenheit voreinander, bis Cinna sich wieder ins Gras setzte. Sie blickte über das Tal und den See, über dem bereits die ersten Nebelschwaden schwebten, und nestelte an den Zipfeln ihres dünnen Schleiers, während er sie verstohlen musterte.
»Du wartest auf Reika«, sagte sie leise, ohne sich umzuwenden, und ihre Stimme verriet nicht, ob es eine Feststellung war oder eine Frage. Cinna entschied, dass er keine Antwort geben musste.
»Sie ist mit einigen Frauen auf der Suche nach den ersten Beeren«, fügte sie hinzu und ließ sich in geringem Abstand von ihm im sonnenwarmen Gras nieder. »Es kann spät werden.«
Flink sammelte sie einige Steinchen auf, rollte sie in den Fingern, und ihre Geschäftigkeit verriet, dass sie es tat, um ihm nicht ins Gesicht schauen zu müssen.
»Ich weiß, wo sie ist«, erwiderte er und bereute seine Worte, kaum dass sie ausgesprochen waren. Als er jedoch den Anflug eines Lächelns in ihren Augen gewahrte, wusste er, dass sie es nicht als schnippisch aufgefasst hatte. »Wie geht es Saldirs Fuß?«
Das Mädchen war am Nachmittag von zwei Frauen nach Hause begleitet worden; sie hatte gehumpelt und das Gesicht schmerzlich verzogen.
»Mutter hat sie versorgt und meint, sie werde schon morgen wieder umherspringen wie ein
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