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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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wurde Gänsebraten aufgetragen, und alle bekamen ihren Teil. Obwohl die Rationen für die Männer, die Dagumers und seinen Sohn begleiteten, mehr Grütze enthielten als Fleisch, war es ein Festmahl. Als Cinna seinen Platz einnahm, wurde er misstrauisch beäugt von den fremden Kriegern, auf deren flüsternde Anfragen Inguiomers dreist verkündete, die Geisel könne mit beiden Händen kämpfen wie Teiwas, der Gott des Krieges, und während er flüsternd mit einer haarsträubenden Lügengeschichte fortfuhr, weiteten sich die Augen der Fremden.
    Inguiotar hatte seiner Tochter befohlen, den Gästen nach dem Essen Bier einzuschenken, um nach alter Sitte einander zuzutrinken, während der Brautpreis ausgehandelt wurde. Die Begleiter bezogen Quartiere im Dorf, nur Dagumers und sein Sohn blieben im Haus. Cinna kauerte auf einer Bank im Hintergrund des Raumes und lauschte scheinbar teilnahmslos den Beratungen der Männer, während Sunja die Tafel umrundete und die Becher füllte. Zwar zeigten ihre Züge keine Regung, in ihren Augen jedoch spiegelte sich der Widerstreit von Neugier und Abscheu angesichts einer Zeremonie, in deren Verlauf ihr Wert für beide Sippen ausgehandelt wurde.
    Dagumers bot ein Joch junger Ochsen und ein Pferd, während sein Sohn die zukünftige Gattin begutachtete, die den Kopf gesenkt hielt, als wollte sie dieser eingehenden Musterung entkommen.
    »Ein Joch Ochsen, drei Kühe und zwei Pferde meiner Wahl bot Marhagais, als er für seinen Sohn um sie warb«, brummte Inguiotar verächtlich.
    »Marhagais’ Sohn ist seit Jahren tot – vergiss das nicht!«, entgegnete Dagumers kühl. »Und deine Tochter ist keinen Tag jünger geworden.«
    »Ein Joch Ochsen und einen Hengst für eine Frau, wie es keine zweite gibt unter den cheruskischen Weibern?«, rief Inguiotar in offenbar gespielter Empörung. »Du willst mich beleidigen!«
    Beschwichtigend hob der Werber die Hände. »Ich kann eine gute Milchkuh hinzufügen oder ein paar Schafe.«
    »Meine Tochter ist stark und schön, und ihr Leib wird viele Söhne tragen«, beharrte Inguiotar.
    Die Augen des Dicken schweiften über Sunja hinweg. »Sie ist schmal in den Hüften«, entgegnete er, »was bedeutet, dass sie es schwer haben wird.«
    Sunjas Wangen waren fleckig, als sie in den dunkleren Teil des Hauses zurückwich.
    »Dies ist kein armes, heilloses Haus!«, wetterte Inguiotar. »Meine Frau Thauris, Wakrabadws’ Tochter, kostete mich sechs Milchkühe und einen roten Hengst. Mein ältester Sohn Liubagastis hat Gunthis, Badwareiks’ Tochter, zum Preis von zwei stolzen Hengsten, gezäumt und gesattelt, erworben – und du wirfst den späten Zeitpunkt dieser Verlobung in die Waagschale?« Er packte Sunjas Arm und zog sie an den Tisch. »Sieh her, Dagumers: Meine Tochter ist keine spröde Knospe, deren Aufbrechen du erst abwarten musst – wir geben sie euch als blühende Frau, reif für die Geburt starker Söhne.«
    Dagumers zog sich zurück und besprach sich mit seinem Sohn, der den Gegenstand des Handels beobachtet hatte, und Cinna glaubte zu erkennen, dass der Alte sich von Daguvalda überreden ließ und nickte, bevor er sich dem Gastgeber zuwandte.
    »Ein Joch Ochsen, den Hengst und zwei Kühe sollt ihr haben«, schlug er vor, »schöne, große Ochsen mit geschwungenen Hörnern.«
    Inguiotar war noch immer nicht zufrieden, ließ sich nachschenken. Mitfühlend bemerkte Cinna, wie zögerlich Sunja zuerst seine Schale füllte, dann die der Gäste, bis der Krug leer war. Thauris trat zu ihr, nahm ihr das bauchige Gefäß ab und verließ das Haus.
    Ehe sie zurückkehrte, hatten die Männer sich geeinigt auf den Preis von einem Joch Ochsen, einem Hengst, zwei guten Milchkühen und fünf Schafen und wollten dieses Geschäft, das die Ehe erst bindend machen würde, mit einem besseren Trunk besiegeln. Das silberbeschlagene Horn wurde mit Met gefüllt, und die Väter gelobten nacheinander, ihren Teil der Abmachung treulich einzuhalten. Zum nächsten Neumond sollten die Verlobten ihren Spruch tun. Das schöne Gefäß machte die Runde, leichthin sprach Daguvalda die Abschiedsworte, sichtlich stolz auf die schöne Braut, während sie sehr scheu, sehr leise und sehr zögerlich von ihm abrückte, die Blicke unverwandt auf den Boden geheftet.
     
    Unsanft wurde Cinna aus dem Schlaf gerissen, fand sich in völliger Finsternis. Jemand saß auf seinem Lager, eine Hand umklammerte seinen rechten Arm, eine Stimme hieß ihn mitkommen, Thauris’ Stimme, und sie duldete keinen

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