Der Tribun
bleiben muss, werde ich eines Tages zugrunde gehen.«
»Du willst, dass ich dich mitnehme?«
Hastig sprang sie auf.
»Und was erhoffst du dir davon?«, setzte er nach.
»Nichts«, rief sie, ihre Stimme schrill vor Angst. »Nichts als einen Platz, wo ich mich und vielleicht auch meine Mutter vor dem Elend schützen kann. Und wenn ich dafür unfrei werde – was würde das ändern? So lebe ich ja seit vielen Jahren schon!«
»Wie soll ich das machen? Ich bin doch selbst nicht mein eigener Herr.«
Sie wandte sich um, schaute ihn an wie ein waidwundes Tier und schluckte hörbar.
»Vergiss mich einfach nicht«, flüsterte sie und rannte davon.
*
Zwölf Tage waren verstrichen nach dem Aufbruch der Freier, als Liuba seiner Familie einen Besuch abstattete. Er war bester Laune und gefiel sich darin, seine Frau mit Ringen und einem schmalen silbernen Armreif zu beschenken – Beute gut, wie Cinna mit einem flüchtigen Blick feststellte. Die Geisel ignorierte Liuba tunlichst, während Inguiomers ihn mit Prahlereien über seine Fortschritte überschüttete. Abends rannte der Junge zu Cinna, berichtete, Liuba wolle mit ihm einen ordentlichen Waffengang tun. Hochaufgerichtet stand er vor Cinna und verkündete, er habe die Absicht, sich selbst Ehre zu machen – und seinem Lehrer.
Inguiomers unterlag, allerdings war es eine ehrenvolle Niederlage. Mehrmals hatte er Liuba überrumpelt, ihm einmal sogar das hölzerne Schwert aus der Hand geschlagen, so dass Liuba genötigt war, ihn mit dem Schild zurückzudrängen, um sich die Waffe wieder zu holen. Am Ende waren es nur Unerfahrenheit und mangelnde Ausdauer, was Inguiomers unterliegen ließ. Schmollend duldete der erschöpfte Junge, dass der große Bruder ihn vergnügt zauste.
Am folgenden Tag begaben sich Inguiotar und seine Söhne auf den Weg zu Thiudawilis Anwesen, um den Preis für dessen Tochter auszuhandeln; Inguiotar wollte sich drei Monate Zeit erbitten, um die Brautgaben zu beschaffen, was Hraban Gelegenheit bieten würde, seiner Angebeteten ausgiebig den Hof zu machen.
Schon in den frühen Morgenstunden desselben Tages hatte eine Opferfeier begonnen, an der unter allen Bewohnern der umliegenden Dörfer auch Thauris und ihre Töchter teilnehmen sollten. Als Thauris Cinna fragte, ob er sie begleiten wolle, lehnte Cinna dankend ab; er argwöhnte, dass Inguiotar die Abreise auf diesen Tag gelegt hatte, um sich davonzustehlen, und hatte insgeheim entschieden, sich auszuruhen und einmal nur das zu tun, wozu er Lust hatte.
Den Vormittag verbrachte er damit, ungestört im Gras zu liegen und den ziehenden Wolken nachzuschauen, und beschloss nach einem kargen, aber glücklicherweise einsamen Eisen, der Nachmittagshitze durch ein Bad im See zu begegnen.
Er rannte ins Tal hinunter, riss sich unterwegs die staubigen und verschwitzten Kleider vom Leib, um sich mit einem Jauchzer in die Fluten zu werfen. Er wand sich in dem kühlen Wasser wie ein Fisch. Selten hatte er das herrliche Nass so genossen wie in dieser Stunde; er liebte diesen See, seinen Geruch und Geschmack, seine Kühle, welche die Haut kräuselte, jedes Haar aufstellte und die Sinne erfrischte. Er tauchte in die Tiefe, wo er einigen erschrocken davonstiebenden Fischen begegnete, und schoss zurück an die Oberfläche, um nach Luft zu schnappen.
»Cai! Was tust du?«
Am Ufer stand Sunja, über dem Arm seine weithin verstreute, schmutzige Kleidung, die sie wohl aufgelesen hatte. Er versank und ließ das Wasser brodelnd über sich zusammenschlagen; dann näherte er sich mit ruhigen, kraftvollen Zügen dem Ufer und richtete sich auf.
Während er das Tuch aufnahm, das er am Ufer hatte fallen lassen, und sich abtrocknete, warf er verstohlene Blicke auf sie. Mehr verlegen als missbilligend hatte sie sich abgewandt und tat so, als wäre sein Verhalten üblich, als hätte es nie Heimlichkeiten zwischen ihnen gegeben. Schließlich trat er zu ihr, das Tuch um den Leib geschlungen wie ein feines Gewand, schlank, dunkel und unrasiert, aber frisch nach Wald und Wasser duftend. Mit der Linken zupfte er eine Klette aus ihrem Haar, umschlang sie wie zufällig.
Flink drehte sie sich um, was sie von seinem Arm befreite, und strich ihr Hemd glatt, wobei sie wachsame Blicke ringsumher warf. Dann hastete sie davon und verschwand im Auwald am Fuß des Burghügels. Achselzuckend ließ sich Cinna auf dem Steg nieder, tastete in der mitgebrachten Tasche nach dem Messer und begann die lästigen Stoppeln von den Wangen zu schaben.
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