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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Das nachlässig angelegte Gewand glitt ihm dabei von der Schulter, die von der Sonne sanft gewärmt wurde. Ein milder Luftzug wehte Gesang herüber; das Heiligtum lag in einer Bucht, die vom Steg aus nicht eingesehen werden konnte, aber gelegentlich trug der Wind die Stimmen derer herüber, die dort den Göttern huldigten.
    Cinna ließ die Hand sinken; wenn die Feier noch im Gange war, hatte Sunja sich wie ihr Vater davongestohlen.
    Eine kühle Hand schob den Stoff wieder seinen Arm hinauf. Er erkannte das Spiegelbild im See: Sunja war lautlos zurückgekehrt und brachte ihm saubere Kleidung. Einige Herzschläge lang ruhte seine wund geschabte Wange auf ihren Fingern, ehe sie ihm entzogen wurden. Gemächlich schlüpfte er in Hemd und Kittel, schnürte den Gürtel und zupfte alles zurecht wie eine herrlich weiche, mit kostbarem Safran gefärbte Tunika.
    Plötzlich drehte er sich um und fasste sie um die Mitte. Wie ein scheuendes Tier warf sie sich herum, rannte in das Dickicht des Waldes. Er setzte ihr nach, verringerte ihren Vorsprung schnell. Haken schlagend entschlüpfte sie ihm immer wieder, und wenn er strauchelte, perlte ihr schadenfrohes Lachen auf. Er spürte die schwarze Erde unter den bloßen Füßen, Moos, Gras, Reisig; Zweige schlugen ihm die Wangen, die er mit den Armen zu schützen versuchte. Die Augen kannten nur die Beute, die Hände tasteten nach ihr, griffen in den Stoff des Mantels. Die Wucht, mit der er sie packte, brachte sie zu Fall und ihn mit ihr. Er umklammerte sie mit den Schenkeln, presste ihre Handgelenke auf den Boden, damit sie sich nicht mehr freiwinden konnte, bis ihr Widerstand nachließ und ihr wildes Lachen erstickte.
    Ihr Gesicht lag vor ihm, die Wangen gerötet, die Augen weit geöffnet, und zwischen den Lippen schimmerten die Zähne. Ihr schneller, heißer Atem strich über seine Haut, als sein Mund ihr Haar traf, Haut berührte, die ein wenig salzig schmeckte, ihren Hals, den zarten Schatten des Schlüsselbeins, wo der Puls raste. Ihre Lippen streiften seine Schläfe wie die Flügel eines Schmetterlings. Ihre glühenden Wangen schmiegten sich in seine Hände. Sie verschränkte die Finger in seinem Nacken, krallte sie in sein Haar, zog ihn an sich, dass er schaudernd die Erwiderung seines Kusses empfing. Zwischen Vorjahreslaub und fettem Moos umschlangen sich ihre Glieder, und wie von selbst glitt sein Knie zwischen ihre Beine. Ihre Wärme überwältigte ihn, und wie unter Zwang flüsterte er, dass er sie liebe, sie begehre. In diesem Augenblick liebte er sie wahrhaftig. Ohne Zweifel.
    Seine Hand auf ihrer Brust ließ sie zurückzucken. Wie eine schützende Mauer schob sie ihre Arme vor sich, stemmte sich gegen ihn, wand sich, um der Umklammerung zu entkommen. Ihr Oberschenkel traf ihn empfindlich, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Er hatte sie sofort losgelassen; nun lag sie reglos neben ihm, die Arme vor der Brust gekreuzt, und starrte ihn ängstlich an. Er rollte sich auf den Rücken und blies den Atem gen Himmel. »Es tut mir Leid …«
    Mit unsicheren Fingern strich sie das Haar aus seiner Stirn. »Ich kann das nicht tun … nicht wie Reika. Ich darf nicht, weil … ich bin eine Freie. Ich bin die Tochter eines Edlen. Verstehst du?«
    Er nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen und küsste die glatte Innenfläche, die ein wenig salzig schmeckte, als er die Zungenspitze über ihre Haut fahren ließ. Langsam drehte er sich zu ihr um, zog ihren Arm um seine Mitte. »Und warum bist du jetzt hier bei mir?«
    Hölzern lag ihr Arm auf seiner Flanke; er spürte den Widerstreit in den Muskeln, die seine Finger umspannten, und verstärkte seinen Griff. Sie folgte halb widerstrebend, ihre Lider verdunkelten das ängstliche Leuchten ihrer Augen. Er hauchte Koseworte zwischen ihre Lippen, Beruhigendes. Das unüberhörbare nächtliche Flüstern und Seufzen ihrer Eltern, ihres Bruders und seiner Frau musste ihr, weil gemauerte Wände fehlten, gewohnt, ja vertraut sein, doch sie atmete hastig, ihre Umarmung war plump, ihre Küsse fahrig, und die Beine presste sie fest zusammen.
    Ernüchtert wandte er sich ab. »Geh nach Hause.«
    Sie erschrak, rappelte sich auf und wich rückwärts zwischen den Bäumen zurück, den Blick starr auf ihn gerichtet, und ihre Lippen zitterten, als wollte sie etwas sagen. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf, dann flog sie herum und rannte davon.
    Cinna blieb stumm zurück und kämmte Moos, Laub und winzige Zweige aus dem wirren Haar und den

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