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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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um ihr einen zweiten, aufflammenden Blick zu schenken, der sie nach Luft schnappen ließ. Zerstreut nagte sie an ihrem Daumennagel, als hätte ein winziges vorstehendes Eck ihr die Arbeit verleidet, während Cinna leise auf Saldir einsprach und sie zum Lernen ermunterte.
    Als er sich erhob und zum Brunnen ging, widerstand er dem brennenden Wunsch, Sunja im Vorbeigehen zu berühren. Er hoffte, sie würde wie zufällig ihre Hand ausstrecken, vielleicht sogar aufstehen und gegen ihn prallen, doch sie verharrte bewegungslos auf ihrem Platz.
    Es fanden sich andere Gelegenheiten, sei es, dass sie sich in der Tür begegneten und er einen Atemzug lang ihre Hand mit seiner umschließen konnte, sei es, dass sie im Vorbeigehen wie zufällig ihre Finger über seinen Rücken gleiten ließ. Wie von selbst passten sie ihre täglichen Gewohnheiten einander an, fanden eine stumme Sprache der Blicke und Gesten; ein Aufblitzen der Augen, das sofort unter den Wimpern erlosch, die Andeutung eines Lächelns, flüchtige Bewegungen woben ein unsichtbares, unzerreißbares Netz, das sich zwischen ihnen spannte.
    Ein Netz, das ihm den Schlaf raubte. Denn die Furcht, ein Traum könnte die Zunge lösen und alles verraten, ließ ihn Nacht für Nacht aufschrecken und wach liegen.
    Schließlich erholte er sich einen Nachmittag lang am Waldrand, an der Stelle des Lagerfeuers, wo ihn in jener Nacht Reika aufgesucht hatte. Es war der einzige Ort, von dem er überzeugt war, dass ihn dort niemand zufällig aufstören würde, und er brauchte nichts so sehr wie Schlaf, Schlaf, der nicht von Furcht durchwoben, nicht leicht war, als schwämme er dicht unter der Oberfläche des Sees und wollte doch lieber an seinem Grunde tauchen.
    Sein Knie war inzwischen wiederhergestellt; eine weitere ärgerliche Narbe würde ihn bis zum Tod an das Leben in der Wildnis erinnern. Obwohl es ihm einige Male gelungen war, Inguiomers wieder in seine Schranken zu verweisen, ließ der Junge nicht locker. Die Fertigkeit, seine Kräfte einzuteilen, schien das Einzige zu sein, was Cinna ihm noch voraushatte. Jeden Trick, jede Finte hatte Inguiomers ihm abgeluchst, und dennoch leuchteten seine Augen in unverhohlener Bewunderung.
    Eine Berührung schreckte ihn aus den kriegerischen Träumen; er blinzelte in Reikas helle Augen, ihr rundes, hübsches Gesicht, und fuhr hoch.
    »Wie hast du …« Verstummend zog er die Decke fester um sich.
    »Dich gefunden?«, vervollständigte sie seine Frage. »Es war Zufall.« Sie senkte die Lider. »Ich komme oft hierher. Sooft ich Zeit finde.«
    Er fühlte, dass sie etwas von ihm erwartete, doch ihre Gegenwart war ihm nur lästig. Es war vorbei, hatte nie wirklich begonnen, ein Zwischenfall ohne Bedeutung. Für ihn.
    »Und was suchst du hier?«, fragte sie vorsichtig, ohne den Blick zu heben.
    »Ich kann nicht schlafen.«
    Ihre Hände legten sich auf seine Beine, strichen leicht darüber. »Sunja ist selig, und du kannst nicht schlafen …«, murmelte sie.
    Das Blut schoss ihm ins Gesicht, ließ seine Ohren, seine Wangen glühen, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Er presste die Kiefer aufeinander, zog den Atem zwischen den Zähnen ein und ertappte sich dabei, dass er das arme, schuldlose Ding verwünschte.
    Wo die Decke seine Unterschenkel verbarg, verschränkten sich ihre Hände, und sie starrte schweigend zu Boden, während er wieder Herr seiner selbst wurde und sich wünschte, sie so unbeschwert umarmen zu können, wie er es vor Sunjas Verlobung gekonnt hatte. Aber als gehöre er nicht mehr allein sich selbst, hemmte ihn ein einziges Wort, das er nicht aus seinen Gedanken verbannen konnte. Ein Name.
    »Ich verlange ja nicht, dass du nicht an sie denkst. Ich habe Angst, dass du dich verrätst. Denn sie werden dich töten, wenn nur der Schatten eines Verdachts auf dich fällt. Und solange sie glauben, du gibst dich mit mir ab, werden sie nicht argwöhnisch werden.«
    Plötzlich schlang sie ihre Arme um seinen Hals. »Ich will dich doch nur schützen.«
    »Aus welchem Grund?«
    Sie fuhr zurück, und ihre Arme fielen von seinen Schultern. »Erkennst du es nicht? Mein Vater ist gefallen, mein Bruder starb krank, mein kleiner Sohn überlebte nicht einmal den ersten Winter. Andere Kinder habe ich nicht und auch keinen Mann, der mich zu sich nehmen will. Ich bin vom Unheil verfolgt, bösen Mächten wehrloser ausgeliefert als alle anderen hier. Was soll aus meiner Mutter werden? Was aus mir?« Ihr Blick klammerte sich an seine Augen. »Wenn ich hier

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