Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
Vom Netzwerk:
Erinnerung an Sunjas weizenblondes Haar, mit dem der Wind spielte, während sie über ihrer Webarbeit auf der Bank saß.
    »Habt ihr niemals Zweifel daran gehegt, ob Daguvalda die beste Wahl ist?«, fragte Cinna geistesabwesend, nahm Ahtalas warnend aufflackernden Blick wahr und biss sich auf die Unterlippe.
    Hraban machte eine fast feierliche Geste. »Nein, mein Freund, nachdem der Mann, dem sie schon als Kind versprochen war, starb und Harjawakrs sie fallen gelassen hat, ist Daguvalda ein wahrer Segen für uns: Seine Sippe ist wohlhabend und einflussreich in den Versammlungen, sie gehören nicht zu Ermanamers’ Gefolgschaft, und ich bin sicher, dass er gut zu ihr sein wird.«
    Während Cinna den Kübel mit Wasser befüllte, winkte Hraban Ahtala zu gehen, worauf dieser sich zögerlich entfernte.
    »Wie könnt ihr euch sicher sein, dass er nicht doch mit Ermanamers unter einer Decke steckt?«, fragte Cinna.
    »Unsinn! Das hätten wir bemerkt.«
    »Wie viele Männer habt ihr unter Waffen? Einhundert? Zweihundert?« Cinna wischte die Hände an den Hosenbeinen ab, die klebrig von Schmutz und Schweiß waren. »Und Daguvalda? Das wäre doch eine freudige Überraschung, wenn er sich neben Liuba an der Spitze seiner und eurer Männer zu Ermanamers’ Truppen gesellen würde.«
    »Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf!« Die Hände in die Seiten gestemmt, baute Hraban sich vor Cinna auf.
    »Du hättest sehen sollen, wie sie bei der Heeresversammlung miteinander plauderten – wie gute, alte Freunde.«
    »Ermanamers ist der Sohn des mächtigsten Mannes unseres Volkes. Er ist der Anführer des Wolfsbundes. Er hat die Meuterei und den Aufstand geplant, den Hinterhalt gelegt. Er hat das Heer unangefochten hinter sich. Man kann ihn nicht einfach außer Acht lassen!«
    »Diese drei konnten meine Gegenwart schon allein deshalb außer Acht lassen, weil sie sich sicher waren, dass ich den Tag nicht überleben würde! Und nun, da ich allen Erwartungen zum Trotz überlebt habe, glaubt mir niemand.«
    Achselzuckend nahm Cinna den Kübel vom Brunnenrand und schickte sich an zu gehen, als Hraban ihn am Arm packte. »Dagumers’ Vater war ein Freund und Kampfgenosse meines Großvaters Liubagastis gegen die Sueben. Dagumers ist ebenso wie Thiudawili und Wakrabadws ein Freund und Kampfgenosse meines Vaters gegen Drusus und Vinicius gewesen –«
    »Und Daguvalda war Zugführer in einer Hilfstruppe und hat sich gegen die Pannonier ausgezeichnet – unter Ermanamers, was du nicht vergessen solltest.«
    Hraban versetzte ihm einen Stoß, drehte sich um und wollte gehen, doch Cinna war nicht willens, ihn einfach davonkommen zu lassen. »Hraban, versteh doch – sie verabscheut ihn!«
    Hraban hielt inne und blitzte ihn scharf an. »Und woher weißt du das?«
    »Das erkennt sogar ein Blinder! Ist dir nicht aufgefallen, wie sie ihm ausweicht? Dass sie nie von ihm spricht?«
    Zu spät bemerkte Cinna die beiden scharfen, senkrechten Linien, die Hrabans Stirn über der Nasenwurzel zerschnitten. Er schluckte, zuckte die Achseln und wandte sich zur Seite. »Ich habe Augen im Kopf, Hraban, und deine Schwester ist ein hübsches Mädchen. Dem Mann, der sie heimführen wird, wird wahrhaftig ein seltenes Glück zuteil. Aber muss es ausgerechnet einer sein, der gar nicht in der Lage ist, dieses Glück zu ermessen?«
    Hrabans Augen waren schmal und funkelten. »Wenn du sie anrührst – wenn du sie angerührt hast … Ich bringe dich um, das schwöre ich beim Leben meines Vaters!«
    »Mach dir keine Sorgen!« Schief grinsend winkte Cinna ab. »Sie hat überhaupt kein Interesse an mir.«
     
    Während Hraban Sunja argwöhnisch beobachtete, verrichtete sie ihre Pflichten mit ruhelosem Fleiß, gab sich mit verdächtig wenig Speise und Trank zufrieden und verließ das Haus nur nach wachsamen Blicken über den Hof. Wenn Cinna sah, wie sie ihm hilflose Zeichen gab, schwankte er zwischen Freude und Enttäuschung. Der Vogel zappelte im klebrigen Netz, und immer enger und dichter schlangen sich die Fäden um ihn. Der Wunsch, sie diesem tumben Bauern nicht kampflos zu überlassen, bedrängte ihn unablässig, erstickte den Gedanken, dass er sein Leben riskierte, um diesen Kranz zu erringen. Und ebenso die Sorge, was mit ihr geschehen könnte.
    In dünnen Fäden, zarter als feinste, just gehaspelte Wolle, fiel Regen aus den Wolken, die tief über dem Tal hingen und alles in Dunst tauchten. Auf der Koppel dampften die Pferde, und der Qualm des Schmiedefeuers biss in Augen

Weitere Kostenlose Bücher