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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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die Zunge an den Gaumen. Mühsam scharrte er das wenige verstreute Heu und Stroh zusammen und versuchte, sich darauf zu legen, zusammengekrümmt wie ein Hund, doch Rücken und Schultern ließen ihm keine Ruhe, bis er schließlich vor Erschöpfung einnickte.
     
    Ein heftiger Schmerz riss ihn aus der unerquicklichen Ruhe, sein rechter Unterschenkel krampfte sich zusammen, als wolle der Muskel sich selbst zerreißen. Stöhnend versuchte er, den Fuß gegen den glatten Boden zu stemmen oder gegen die Wände des Verschlages, deren Weidengeflecht unter der Ferse knirschte. Endlich beruhigte sich der überanstrengte Muskel. Doch ein Echo des Zerrens hatte sich in seinem Bein eingenistet und hielt die Angst vor einem neuen Krampf wach.
    Endlich kroch Licht durch die Spalten im Wandgeflecht herein und tauchte das Innere des Verschlages in Dämmerung. Nachdem er ebenso angestrengt wie vergeblich versucht hatte, die Riemen zu lösen oder wenigstens zu lockern, welche die Gelenke aufschürften und quetschten, verlegte er sich darauf, den Drang seines Körpers nach Erleichterung zu unterdrücken. Er würde ja nicht auf ewig hier eingesperrt bleiben.
     
    Sachtes Flüstern lockte ihn aus dem Dämmern, in das er sich geflüchtet hatte, als die klamme Empfindung, die den Rock tränkte, ihn aufschrecken ließ und ihm mit schalem, scharfem Geruch seine missliche Lage verdeutlichte: In der Bewusstlosigkeit hatte die Not den Willen besiegt.
    Er erkannte die Stimme des Mädchens, das seine Schülerin war, Saldir; ihre Hände lagen auf dem Geflecht der Wand. Aus dem ernsten Gesicht leuchteten die großen grauen Augen.
    »Vater hat einen Boten geschickt«, begann sie stockend. »Du hättest nicht weglaufen dürfen!«
    »Was haben sie vor mit mir?«, fragte Cinna, heiser vor Aufregung.
    »Du musst bestraft werden, Cai.«
    Dass auch sie ihn so nannte, traf ihn bitter. Die anderen verstümmelten seinen Vornamen, um ihn zu demütigen – sie hätte es besser wissen können.
    »Du musst hart bestraft werden, sagt Vater«, fuhr sie fort. »Du hättest meiner Schwester etwas antun wollen, sagt er. Aber ich glaube das nicht. Ich glaube nicht, dass du jemandem etwas antun könntest.«
    »Ich war Offizier, Saldir.« Es war das erste Mal, dass er ihren Namen aussprach, und er ging ihm schwer von den Lippen. »Ich werde töten, wenn es nötig ist, um hier wegzukommen.«
    Sie war verstummt, verharrte jedoch im rückwärtigen Schatten des Verschlages, wo sie vom Haus her nicht gesehen werden konnte. Nach einer Weile begannen ihre Finger, das schadhafte Geflecht der Wand abzutasten, fanden ein Loch, halb so groß wie eine Kinderfaust, das sie durch flinkes Schaben mit einem Holzstück vergrößerte.
    »Ich habe Brot für dich«, sagte sie leise. »Und Nüsse. Aber niemand darf es erfahren.«
    Durch die Lücke schoben zwei Finger ein Stück von einem groben Getreidefladen. Mühsam robbte Cinna heran. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen, als böte sie ihm die köstlichsten Leckereien. Zweimal biss er in den Fladen, ehe er zu kauen begann, ließ sich die Reste in den Mund stopfen, wie sich ein frisch geschlüpfter Vogel von seinen Eltern füttern lässt. Das Mädchen kicherte über seine Gier, streckte ihm weitere Brotstücke entgegen, dazwischen Nüsse und einige getrocknete Apfelscheiben, die er hungrig verschlang. Viel zu früh war ihr Vorrat aufgebraucht, dann lugte sie durch das Loch, versprach, am Abend mehr zu bringen. Die kleine Hand berührte sein Haar, streichelte ihn sacht.
    Ein ferner Ruf schreckte sie auf. Ihr Name scholl über die Wiese. Rasch zog sie ihre Hand zurück, huschte im Schutz des hohen Grases zum Zaun, von wo sie fröhlich antwortete.
    *
    Rasselnder Hufschlag riss Cinna aus dem Schlaf. Schreie durchschnitten die Dämmerung. Die Dorfbewohner rannten lärmend auf dem Hof zusammen, wo eine fremde Stimme krakeelte, bis Riese sie herrisch zum Schweigen brachte. Schritte schleiften durch das hoch stehende Gras, näher. Er fuhr herum, beschämt, den Barbaren schmutzig unter die Augen zu kommen, als jemand die Verriegelung wegriss. In einem Schwall gleißenden Lichtes flog die Türe auf, und der Gefesselte wurde an den Füßen hinausgezerrt, dass sich der Rock bis unter die Achseln aufrollte.
    Mit ungewöhnlich ernstem Gesicht kniete Hraban neben ihm, zog wortlos den Dolch aus dem Gürtel und durchschnitt die Riemen um Cinnas Knöchel, dann die Handfesseln. Hastig umklammerte Cinna abwechselnd die tauben Glieder, knetete die steif

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