Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
Vom Netzwerk:
weitaus ehrenvoller als die Gefangenschaft.
    Als der Sturm abflaute, drang Rieses schwerer Atem durch den Vorhang und aus dem Nebenraum das gepresste Schnarchen des Sklaven. Cinna erstarrte, und seine Sinne waren schlagartig von kristallener Klarheit: Wenn sie bei diesem Toben der Winde schliefen, könnte er sich davonstehlen.
    Wenn er nur bis zur Tür gelangte …
    Vorsichtig schob er die Decke beiseite und setzte sich auf, um das mittlerweile arg mitgenommene Hemd über den Kopf zu streifen. Die Schuhe nahm er in die Hand; er durfte jetzt bloß keinen Lärm machen. Gebückt huschte er zur Tür, tastete sich durch den Flur, wo er mit zitternden Händen die Haustür öffnete, unendlich langsam, um jedes Knirschen zu vermeiden. Er schlich durch den Spalt, kaum dass dieser breit genug war, schmiegte sich in den Schatten des Vordachs, wo er endlich durchatmete. Der Hof war vom Mondlicht überflutet und menschenleer.
    Eine Windböe trieb den Geruch der Pferde herüber. Er verdrängte den Gedanken – die Tiere kannten ihn nicht, sie würden ihn nicht an sich heranlassen und ihn durch ihr Wiehern verraten. Mit wenigen, schnellen Schritten erreichte er den Zaun, hastete zum Tor, das nur angelehnt war, und spähte den Weg hinunter. Niemand befand sich draußen, nur vereinzelt döste Vieh auf den Wiesen. Vorsichtig schob er sich am Zaun entlang; als der Mond hinter Wolken verschwand, stieß er sich von den Stangen ab und rannte los.
    Unerwartet bald ragte vor ihm der grasbewachsene Wall mit der Palisade aus dicht stehenden Bohlen auf. Im Schatten eines hohen Zaunes schlüpfte er in die Schuhe und lief auf den Wehrgang. Unter Aufbietung aller Kräfte stemmte er sich an dem roh behauenen Holz hoch, schwang sich hinauf. Einen Augenblick lang blieb er sichernd auf der Brustwehr liegen, ehe er sich vorsichtig auf der anderen Seite hinunterließ. Eine Sehne in seiner Schulter drohte zu reißen, während seine Fußspitzen sich an den Bohlen hinabtasteten, einen vorstehenden Balken fanden. Dort musste die steinerne Mauerverkleidung beginnen. Ein Blick in die Tiefe warnte ihn, doch seine Finger glitten am splittrigen Holz ab, er verlor den Halt und sprang.
    Nasses Gras hatte seinen Aufprall gedämpft. Er kauerte an der klammen Steinmauer, welche die untere Hälfte der Befestigung bildete. Das Laub des Waldes rauschte im Wind, während aus dem Tal das Gurgeln eines Baches heraufdrang; kein schwerer Schritt, kein knackendes Holz. Seine Knöchel schmerzten, aber er war unverletzt. Er hechtete durch den flachen Graben, dann den steilen Hang hinunter, über den weichen Teppich einer Wiese und verschwand im Dunkel des Waldes.
    Als er den Weg erreichte, war er schon weit vorangekommen. Finden würden sie ihn sicher nicht mehr, es gab zu viele Richtungen, die er eingeschlagen haben könnte. Mühsam erstickte er ein Jauchzen, schüttelte die vom rauen Holz aufgeschürften Fäuste, ehe er den Weg kreuzte und wieder in das Unterholz eintauchte. Er tanzte geradezu zwischen den Schlehenbüschen dahin, ohne die reißenden Dornen zu spüren, berauscht und achtlos Fuß vor Fuß setzend, strauchelnd und sich wieder aufraffend, um weiterzulaufen, und tat einen stummen, ausgelassenen Freudensprung.
    Zweige krachten unter seinen Füßen, Laub wirbelte auf, doch da war kein Boden. Er versuchte, Halt für Hände und Füße zu finden, versuchte sich hinaufzuziehen, fühlte sogar einmal zwischen den Fingern nasses Gras. Aber immer wieder glitten die Füße aus, verloren die Hände die Kraft, er riss Erdklumpen mit sich und rutschte in eine blinde Tiefe.
    Es schien unmöglich, aus diesem Loch zu klettern. Vorsichtig tastete er über die feuchtkalte, lehmige Wand seines Gefängnisses und hob den Blick. Der Grassaum des Waldbodens hob sich schwarz gegen die nur wenig helleren Schemen der windgepeitschten Bäume ab, durch die ein paar verirrte Sterne lugten, hoch über ihm. Zwei Mann übereinander reichten kaum hinauf, und die Wände bestanden aus glattem, festgeklopftem Lehm. Es war unmöglich, aus diesem Loch zu klettern.
    Sein Gesicht zuckte. Er lachte, schüttelte den Kopf, fuhr sich mit der schmutzigen, blutenden Linken durch das Haar und senkte den Kopf. Die Fäuste hieben einmal, zweimal, immer wieder auf den Lehm ein, begleiteten das von wilder Bitterkeit getriebene Lachen. Ein Schluchzen schüttelte ihn, Kälte und Nässe pressten die Kraft aus seinem Körper, dass er zusammensank, und sich erst nach einiger Zeit mit dem Rücken am klammen Lehm kauernd

Weitere Kostenlose Bücher