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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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gewordenen Finger und Sprunggelenke, ballte und öffnete die Fäuste.
    Auf einen raschen Wink hin packten ihn zwei Männer an den Oberarmen und rissen ihn auf die Beine. Unsanft zerrten sie ihn zum Tor hinaus, den Hang hinunter, dorthin, wohin er schon einmal gebracht worden war, und wo sich nun zum zweiten Mal die Dorfgemeinschaft eingefunden hatte, um ihm blöde entgegenzugaffen.
    Wieder thronte auf dem kostbaren Sessel der leibhaftige Daimon dieses Volkes, bei ihm ein junger Mann, den ein langer, weißer Stab als Boten auswies. Der Blick aus Rieses stechend hellen Augen ließ Cinna zurückprallen, er schien furchterregender denn je. Ein harter Stoß in die Kniekehlen brachte ihn zu Fall.
    Seine Wangen glühten. Er wollte aufbegehren, als sich eine Faust in sein Haar krallte, ihn niederdrückte und gleichzeitig zwang, zu dem entsetzlichen Häuptling der Barbaren aufzublicken. Der Herold verkündete in einem rauen, tierischen Singsang die ihm aufgetragene Botschaft, die von den Umstehenden mit Erstaunen und offensichtlicher Schadenfreude aufgenommen wurde. Nach allem, was er von der kleinen Saldir aufgeschnappt hatte, verstand Cinna nur einzelne Wortfetzen; mühsam reimte er sich zusammen, dass sein Fluchtversuch streng geahndet werden würde. Schließlich verstummte der Bote.
    Über dem aufgeregten Gemurmel erhob sich Riese und gebot mit einer langsamen Bewegung des Armes Schweigen. Hraban übersetzte flüsternd seine Worte, während er davon sprach, dass die Geisel – und dabei deutete er auf Cinna – ihre Bewegungsfreiheit auf das Schimpflichste missbraucht habe. Die Strafe müsse hart ausfallen. Der Gefangene solle als Knecht den Herren des Dorfes Gehorsam zollen. Riese machte eine Pause, dann eine knappe, wegwerfende Handbewegung.
     
    Zusammengekrümmt lag Cinna in der Dunkelheit am Rand seines neuen, dürftigen Strohlagers im anderen Teil des Hauses, weit abgerückt von dem gallischen Sklaven, der zwischen ihm und dem Vorhang lag. Unvorstellbar blieb ihm, dass der friedlich schnarchende Mann, mit dem er in Zukunft diese Nische teilen musste, zu eben den Menschen gehört hatte, die in schallendes Gelächter ausgebrochen waren über sein Zurückscheuen, als ihn die beiden Kerle wieder gepackt hatten. Trotz seines verzweifelten Sträubens war er unter Geschrei zurück in das Dorf geschleift worden, wo sie ihn erneut auf die Knie gezwungen hatten. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, hatte er dulden müssen, dass sie sein wirres, schwarzes Haar mit einem Messer bis auf einen stoppelig kurzen Flor geschoren hatten. Nachdem sie ihm den Rock, letztes kostbares Zeichen seines einstigen Ranges, trotz erbitterten Widerstandes vom Leibe gerissen hatten, hatte ein ungeschlachter Kerl ihm einen Riemen um den Hals geknotet. Dann zerrten sie ihn an einer Leine durch das Dorf, umtanzt von kreischenden Kindern, vorbei an johlenden Wilden, die ihn bespuckten und schlugen, vorbei an Weibern, welche die Demütigung des Feindes schrill bejubelten. Endlich, nachdem sie ihn zurück auf das Anwesen geschafft und dort in eine Schlammlache gestoßen hatten, entfernte sich ihr wildes Hohngebrüll allmählich. Nur die Kinder setzten ihre rasenden Tänze um den nackten Wehrlosen fort, bewarfen ihn mit Lehm und Mist. Diesmal vertrieb sie niemand.
    Jemand durchschnitt die Fesseln und warf eine raue Decke über den geschundenen Körper. Unfähig sich zu rühren, blieb Cinna in der Pfütze liegen und ertrug die seltener werdenden Angriffe der Kinder, die sich zu langweilen begannen. Erst lange nach dem Abmarsch der Gören wagte er vorsichtig herauszulugen. Die Haut spannte sich unter dem getrockneten Schlamm, die Schürfungen gärten, und ihm schwindelte. Niemand beachtete ihn, als wäre der Spießrutenlauf zwischen den Hütten nichts als ein Albtraum gewesen.
    Tief verstört setzte er sich auf, zog die Beine an den Körper und kauerte auf der Erde, von nichts als nasser, schmutziger Wolle geschützt. Er war Sklave des Feindes, sprachbegabtes Werkzeug, verloren, bis vielleicht eines fernen Tages irgendein Heeresteil dieses Dorf erobern würde.
    Den Napf, den die Sklavin in der Nähe auf die Erde stellte, beachtete er nicht; Übelkeit hatte jedes Hungergefühl verdrängt. Als sie zu ihm trat, wich er zurück, ohne aufzuschauen. Langsam ging sie in die Knie, streckte eine Hand nach ihm aus, die er nach langem Zögern nahm. Sie führte ihn zum Haus, in den dunklen, zugigen Flur, in dem die Unfreien hausten, zu einem Strohlager, wo sie ihm

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