Der Tribun
nochmals vergeblich das Essen anbot. Dann streifte sie ihm behutsam die Decke vom Kopf, den er auf die Knie gelegt hatte. Wortlos streichelte sie die blutig geschorene Haut, während er die Fingernägel in seine zerkratzten Unterschenkel grub.
Irgendwann war er zur Seite gekippt und presste die Fäuste auf die Augen. Das Mädchen barg ihn unter den wollenen Decken und verließ leise das Haus.
*
Die fremden Gesichter wurden gewohnter, nach und nach vertrauter, die Namen ließen sich merken, selbst die barbarische Kleidung aus Hemd und Hose erwies sich als erträglich. Saldir brachte zu jeder Unterrichtsstunde ein warmes Getränk und Naschwerk mit, Nüsse, gedörrtes Obst und honigsüße Plätzchen. Sie verlor kein einziges Wort über den peinlichen Vorfall, und sie war es auch, die ihm die Familienverhältnisse und die sonderbaren Namen erklärte. Sie wusste zu berichten, dass ihr Vater Inguiotar vor vielen Jahren am Tisch seines Gegners Drusus Nero, dem Bruder des Tiberius Caesar, gespeist und mit ihm verhandelt habe. In jenem Jahr sei ihr Bruder Inguhraban geboren worden, benannt nach seinem tapferen Onkel, der im Kampf gegen eben diesen Drusus gefallen war; und ein Jahr später sei ihre Schwester Sunja zur Welt gekommen. Dann gab es noch einen älteren Bruder. »Liubagastis. Liuba. Er ist ausgezogen, um uns Ehre zu machen.«
»Sicher«, knurrte Cinna und kratzte sich am Kinn. »Indem er wehrlose Flüchtlinge totschlägt.«
Befremdet musterte sie ihn, als hätte sie ihn nicht verstanden. Er winkte ab, rieb sich mit beiden Händen die mittlerweile von einem struppigen Bart bedeckten Wangen. Ob es möglich war, diesem lästigen und unwürdigen Zustand ein Ende zu bereiten …
»Du darfst keine Waffe haben«, sagte sie leise, als hätte sie seine Gedanken erraten.
Anstelle einer Antwort verwies er sie mit einer Geste auf das rechtwinklige Dreieck, das er mit einem Zweig in den Sand gezeichnet hatte.
Was immer ihn geritten haben mochte, als er anfing, seine mathematischen Kenntnisse an sie weiterzugeben – nein, es war anders gewesen: Sie hatte ihn beobachtet, sooft er geistesabwesend geometrische Figuren in den Staub gekritzelt hatte, und schließlich hatte sie ihn mit einem unerwarteten Satz überrumpelt.
Wer nichts von Geometrie versteht, darf nicht eintreten – woher kannte sie diese Worte? Doch als er sie fragte, versteckte sie kichernd das Gesicht in den Händen und lief davon.
Eines Tages setzte sie sich schwungvoll neben ihn auf die Bank und legte mit einem verschwörerischen Lächeln ein kleines halbmondförmiges Messer auf seine Knie, die Rasierklinge eines Legionärs.
»Woher hast du das?«
Aus einem kleinen Beutel förderte sie einige Körnchen Soda, Asche und Bimsstein zutage. »Ich habe Brüder – hast du das vergessen?«
Die Klinge schnitt in seine Fingerkuppen, als er sie prüfte. Mit dem Daumen presste er das herausquellende Blut zurück und nickte anerkennend. Es würde genügen. Er setzte das Messer dicht beim Ohr an, straffte die Haut und fuhr mit der Klinge über die Wange. Ein feines Knirschen verriet ihm, dass sein Vorgehen Wirkung zeigen würde. Er streifte das Messer an der Hose ab.
»Bringst du mir Wasser?«
Im selben Augenblick bereute er seine Frage. Aber sie war bereits aufgesprungen und rannte über den Hof zum Haus.
Als sie mit einer überschwappenden Schüssel langsam zu ihm zurückkehrte, hatte er schon einen erheblichen Teil des struppigen Bartes entfernt. Er blutete aus mehreren Schnitten. Früher hatte sein Leibsklave allmorgendlich duftende Salben auf seinem Gesicht verteilt, ehe er ihm mit der scharfen Klinge gründlich und behutsam über Kinn und Wangen gefahren war; niemals hatte Cinna selbst zum Rasiermesser greifen müssen.
Die Mischung aus Asche und Soda schäumte in seinen nassen Händen auf und biss in die frischen Wunden, als er sie auftrug. Aber sie war nützlich, ließ die Klinge rascher gleiten, und zusehends glätteten sich Wangen und Kinn, wie er mit klopfendem Herzen bemerkte.
Saldir hatte ihre helle Freude daran. »Ich helfe dir mit diesen Dingen, und du bringst mir die Linien, Kreise und Dreiecke bei«, lautete ihr Vorschlag.
»Ich weiß nicht, ob das gut ist. Du –«
»Ich will es! Hraban hat mir das Handrechnen gezeigt. Aber von diesen Sachen versteht er nichts.«
Er musterte sie wachsam. »Woher weißt du davon?«
»Sie haben darüber gesprochen, Hraban und Sunja«, plauderte sie. »Dass du in Athen warst und dort studiert hast. An
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