Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
Vom Netzwerk:
schenkte niemandem etwas, auch nicht sich selbst, doch wenn er Belohnungen und Auszeichnungen verlieh, dann wusste man, dass es eine verdiente Ehre war. Wohin hatte er Calpurnia in diesen unsicheren Tagen geschickt?
    Hraban förderte einen Becher zutage, aus dem es fad roch. »Hier. Das kommt von Mutter.«
    Cinna widerstand der Versuchung, das Bier einfach wegzuschütten; er nippte an dem Becher, und ehe er sich versah, leerte er ihn in einem tiefen Zug. Er gewöhnte sich daran.
     
    Für seine Männer, von denen einige Bewohner des Dorfes waren, die zu ihren Familien zurückkehrten, andere als Gäste im Dorf einquartiert wurden, ließ der heimgekehrte Sohn Inguiotars anderntags ein weiteres Festmahl auftischen. Ein Schwein wurde geschlachtet, Bier, Met und sogar Wein ausgeschenkt. Schwer hing die Luft in dem Haus, in dem sich die Menschen um drei eilig zusammengestellte Tafeln drängten. Cinna wurde vor den Tisch geführt, wo sich Liuba an Inguiotars rechter Seite lümmelte und beim Anblick des Gefangenen leise mit der Zunge schnalzte.
    »Ihr habt euch beschwert, dass ich euch etwas vorenthalten habe«, begann er, ohne den Blick von dem Gefangenen zu wenden. »Ich wollte Nanthawulfs nicht der Ehre berauben, unser kleines Abenteuer mit einem Lied zu preisen.«
    Einer der Krieger erhob sich von seinem Platz auf der Bank und griff nach einem sonderbar geformten Saiteninstrument. Jemand stellte einen Schemel auf den Tisch, auf dem er sich niederließ. Das Instrument auf dem Schoß zupfte er an den Saiten, spannte sie wie die einer griechischen Lyra; dann versank er in Reglosigkeit. Im Haus wurde es still.
    Als er nach einer kleinen einleitenden Weise zu singen begann, stellte Cinna fest, dass dieser Mann ein ausgezeichneter Sänger war, der mit seiner klaren und kraftvollen Stimme mühelos den Raum füllte. Cinna verstand nur ein paar Brocken der kunstvollen Sprache, aber aus dem Wenigen konnte er den Inhalt des Liedes erschließen. Sechs Helden, die ausgezogen waren, um eine weit überlegene Reiterschar zu besiegen. Die Anwesenden hingen an den Lippen des Sängers, der mit geschlossenen Augen die Tat rühmte und eine fremdartige Weise erklingen ließ. Todesverachtend hatten sich die Helden auf den Feind geworfen, ihre Speere geschleudert, die ihre Ziele nicht verfehlten. Deutlich spürte Cinna das Ziehen der Narbe auf seinem Oberschenkel. Der zuvorderst reitende Feind sei unter dem Beil eines Helden gefallen, und das Traumbild des gespaltenen Helmes, des weithin spritzenden Blutes bekam eine neue Bedeutung. Gesenkten Hauptes ballte Cinna die Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten, als der Sänger berichtete, wie der Tapferste der Tapferen den hoch dekorierten Offizier stellte. Wie er ihn mit einem Schwerthieb von seinem Pferd warf und mit der bloßen Faust überwältigte. Wie er einen Soldaten, der ihn wütend angriff, mit dem Schwert seines Herrn durchbohrte. Wie er den Schimmel einfing und zu Ehren eines Gottes niederstach.
    Als der Sänger verstummt war, brauste Beifall auf, und die Fäuste trommelten auf den Tischen. Liubas schmale, helle Augen ruhten auf dem Gefangenen, und seine Lippen formten ein grimmiges Lächeln. Sein Vater erhob sich, winkte Sunja, die mit einem Krug um den Tisch ging, und ließ sie das ausgehöhlte, mit Silber eingefasste Stierhorn, das er zu diesem feierlichen Anlass als Trinkgefäß benutzte, füllen. Langsam umrundete er seinen Ältesten, näherte sich dem Sänger, der stumm auf dem Schemel verharrte, und reichte ihm das Horn. Während die Umsitzenden in neuen Beifall ausbrachen, bedankte sich der Sänger mit einer artigen Verbeugung und leerte es in einem Zug.
    Jemand zupfte an Cinnas Ärmel. Hinter ihm stand Saldir, sie hielt einen Napf, in dem sich ein Stück Brot befand, darunter ragte das Ende eines Knochens heraus. Sein Blick sprang zu ihrer Mutter Thauris, und das leise Zucken ihrer Mundwinkel war wie ein aufforderndes Nicken. Er streckte die Hand danach aus, doch er griff ins Leere. Ohne hinzusehen, hatte Liuba Saldir den Napf aus den Händen geschlagen. Sofort schnappten die Hunde den kostbaren Brocken, und sprangen zurück unter den Tisch, um ihn unter Bellen und Knurren einander abzujagen, bis Tritte und Flüche sie dort hinaustrieben. Liubas Finger wies auf den im Staub zerbrochenen Brotfladen.
    »Heb’s auf und iss!«
    Cinna warf den Kopf zurück, doch einer der Männer hatte ihn von hinten gepackt und drückte ihn mit ungeheurer Kraft auf die Knie. Kalter Schweiß

Weitere Kostenlose Bücher