Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
Vom Netzwerk:
wandte sich ihr zu. »Wozu solltest du es nötig haben, seine Sprache zu lernen? Die Sitten seines Volkes zu kennen oder dessen Märchen, Lesen, Schreiben – wozu soll das gut sein?«
    Blass geworden blickte Saldir zu ihm auf, während er seine Hand hob und ihr über den Kopf streichelte. Dabei sank er auf die Knie, was ihn ein bisschen kleiner machte als sie. »Das war Hrabans oder Sunjas Idee. Sie haben dir diesen Floh ins Ohr gesetzt. Das bist nicht du, Schwesterchen. Du bist die Tochter eines Fürsten. Du musst unsere Sitten kennen. Sonst nichts.«
    Als entsinne er sich unversehens wieder seiner eigentlichen Absicht, erhob er sich und drehte sich um. »Ich habe Arbeit für dich gefunden, Römerlein.«
    Mit zwei schnellen Schritten war er bei dem Gefangenen, schubste ihn mit kleinen Stößen rückwärts vor sich her, dass Cinna Mühe hatte, nicht zu stolpern. Aber sich umzudrehen wäre ihm als Eingeständnis der Niederlage erschienen; also hielt er sich tapfer auf den Beinen und heftete den Blick fest auf das harte Gesicht des Feindes.
    Ein knapper Griff entledigte Cinna des schützenden Umhangs, ein weiterer Stoß hätte ihn fast zu Boden geworfen. Er fing den Schwung ab, musste dazu jedoch Liuba den Rücken zukehren.
    »Lass ihn in Ruhe!«, schrillte Saldirs helle Stimme hinter ihm. »Warum tust du das?«
    Liuba blieb stehen. »Hast du jemals gesehen, was Legionäre ihren Gefangenen antun, Kleines?«
    Heiß brannte die Scham auf Cinnas Wangen. Er wollte einwenden, dass er nie Legionär gewesen war, dass man ihm nicht vorwerfen dürfe, was … man konnte es ihm vorwerfen. Er hätte einschreiten können, wenn Legionäre beim Verhör mit den Fäusten, den eisenbeschlagenen Stiefeln oder anderen geeigneten Werkzeugen nachhalfen. Doch warum hätte er das tun sollen? Etwa weil es ihm selbst einmal zustoßen könnte? Wer hätte das vorhersehen können?
    »Das gibt dir nicht das Recht …« Ihr Kinderfuß stampfte auf der Erde auf.
    »Kleines, ich werde ihm schon nichts antun. Ich werde ihm ein bisschen gutes Betragen beibringen, ihm den Hochmut austreiben, damit er sich nützlich macht und nicht faul herumlungert.«
    »Vater wird –«
    »Vater ist für eine Weile fort, Kleines. Und solange er nicht hier ist, werde ich bestimmen, was mit dem Gefangenen passiert, den ich euch gebracht habe.«
    Liubas Hand schloss sich fest um Cinnas Oberarm, eine Hand so groß, dass sie jeden Widerstand leicht brechen konnte, und er schob ihn unnachgiebig vorwärts, zum Tor hinaus, den Weg hinunter bis zum letzten kleinen Hof vor der Mauer. Im Garten waren Netze zum Trocknen aufgespannt. Im Schatten der Hütte kauerte ein alter Mann, der eine Reuse flickte und ihnen entgegensah.
    »Godareths!«, rief Liuba ihn an.
    Der Mann erhob sich mühsam und humpelte mit gesenktem Kopf auf sie zu, während Liuba den Gefangenen in das Gelände führte, das Garten und Weide zugleich war. In der Nähe war eine magere Kuh angepflockt, deren winziges Euter wenig Nahrung verhieß.
    »Seine Leute haben deinen Sohn getötet – also soll er dir bei der Arbeit helfen.«
    Der Alte hob den Kopf. »Der Lehrer deiner Schwester?«, schnarrte er.
    »Sie braucht ihn nicht. Er kann arbeiten.«
    Prüfend presste der Alte den Oberarm des Gefangenen, knuffte seine Schulter, stieß ihm das Knie in den Oberschenkel, und da Cinna nicht zu Fall kam, nickte er beifällig. »Wie heißt er?«
    Liuba zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Mein Vater nennt ihn Cai.«
    »Das genügt«, brummte der Alte. »Ich danke dir, Herr.«
    »Schick ihn zurück, wenn er fertig ist. Es gibt auf dem Hof auch noch ein paar Aufgaben für ihn. Und …« Warnend beugte er sich zu dem Alten. »Lass ihn nicht in die Nähe deiner Frau. Die sind wie Hunde.«
    Mit einem letzten Stoß, der deutlich machte, dass Ungehorsam schwere Konsequenzen nach sich ziehen würde, verabschiedete Liuba sich.
     
    Kurz darauf trottete Cinna, einen hölzernen Kübel in der Rechten, hinter dem Alten ins Tal hinunter. Auf einem ausgetretenen Pfad, der den breiten, am Dorf entlang führenden Weg kreuzte, folgte er ihm durch den Wald, bis plötzlich der glatte Spiegel eines Sees vor ihnen lag. Schwer von gelb und rot verfärbtem Laub hingen die Zweige ins Wasser, Reisig und Halme hatten sich darin verfangen, und verschrumpelte braune Blätter trieben dahin. Am unterspülten Ufer schaukelte ein Rindenkahn. Der Alte zog den Knoten auf, der das Boot an einer dicken Wurzel befestigte, streifte die Schuhe ab und stieg ins

Weitere Kostenlose Bücher