Der Tribun
warfen ihre Waffen in die Luft, um sie geschickt wieder aufzufangen. Der Anführer stieß die Standarte vom Rücken seines Rotschimmels aus über den Eingang seines Vaterhauses in das Reetgeflecht des Daches. Er riss den Helm samt Maske vom Kopf, hängte ihn an das verbogene Feldzeichen und schüttelte sein dunkel verschwitztes Haar. Dann fiel sein Blick auf den Gefangenen.
Kälte fuhr Cinna in die Glieder, als er das Gesicht sah, und er erstarrte. Es war nicht die hämisch geschürzte Oberlippe, es waren die Augen, die er erkannte. Die Augen des Feindes. Des Feindes, der ihn vom Pferd gerissen und zu Boden geworfen hatte. In diesem Moment schienen sich alle seiner zu entsinnen; das Fest kam zum Stillstand, die Krieger verstummten und starrten ihn an.
Während er in zerlumptem Hemd mit einer Mistgabel in den Händen dastand, lenkte der Anführer seinen Rotschimmel im gemächlichen Trab auf ihn zu. Cinna würde keinen Fingerbreit zurückweichen. Das Pferd blieb dicht vor ihm stehen; das mächtige Haupt berührte beinahe seine Brust. Es schüttelte sich, dass die bronzebeschlagenen Lederriemen an seinem Halfter klirrend mit Mähnenhaar und weißen Schaumflocken um die Wette flogen. Cinna wich nicht zurück. Er starrte in die Züge des Feindes, dessen harten, schmallippigen Mund ein kaum merkliches Grinsen umspielte.
Plötzlich drehte sich der Krieger im Sattel um. »Meine Mutter ist eine große Heilerin!«, rief er triumphierend.
Mit elegantem Schwung glitt er vom Pferd, trat auf den Gefangenen zu, den er um fast einen Kopf überragte. Cinna nahm Haltung an und reckte das Kinn, als könne er so darüber hinwegtäuschen, dass der andere auf ihn herabgrinste. Beinahe wohlwollend schlug ihm der Krieger auf den Oberarm. »Hast du keinen Willkommensgruß für deinen Herrn?«
Cinna schwieg, ohne den Blick abzuwenden. Noch immer krampften sich seine Finger um die Mistgabel. Der Krieger packte den Stiel und entriss ihm die nutzlose Waffe, als wäre er ein widerspenstiges Kind. Ein Fausthieb traf ihn an der Schulter, kein ernst gemeinter Schlag, doch hart genug, um wehzutun und ihn zu einem Ausfallschritt zu zwingen. Als Cinna mit einem Ächzen nach der Narbe griff, grinste der Krieger breit.
»Das ist ein kleines Andenken von mir«, tönte er beifällig nickend. »Trag es wie eine Auszeichnung!«
Er wandte sich ab und schritt davon, ließ sein Pferd einfach stehen, als solle es den Gefangenen bewachen. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Krieger von ihm erwartete, das erschöpfte Tier abzuzäumen und zu versorgen. Langsam glitt Cinnas Hand an seinem Arm herab. Erst jetzt spürte er, dass er zitterte. Er strich dem Pferd über die Stirn und ging davon.
Cinna verbrachte den Tag weit entfernt von dem Haus, in dem Inguiotars Familie, die rauen Gäste und Leute aus dem Dorf um die gedeckte Tafel saßen und die Heimkehr von Inguiotars ältestem Sohn Liuba feierten. Manchmal drang der Nachhall ihres Gelächters bis zu ihm und zog das Band um seine Brust enger und enger.
Nacht hatte sich herabgesenkt. Angestrengt schaute Cinna in den gestirnten Himmel, unter dem dicke Wolken dahinflogen, und schlang die Arme um den Körper, um sich zu wärmen, während die aus der Erde kriechende Kälte an seinem Rückgrat emporkletterte. Das feine Haar im Nacken stellte sich auf, und bei jedem Luftzug kräuselte sich die Haut unter den beiden Hemden.
Gedämpfte Schritte ließen ihn aufhorchen. Im fahlen Restlicht erkannte er Hraban, der das Bündel, das er trug, zu einem Umhang entfaltete und dem Gefangenen um die Schultern legte.
»Es gibt Neuigkeiten. Kein römischer Soldat steht mehr diesseits des Rhenus. Die Straßenposten und Lager sind gestürmt. Und euer Legat Asprenas hat neue Truppen angefordert. Er ist mit der Ersten und der Fünften Legion in Eilmärschen von Mogontiacum nach Norden unterwegs. Sie bleiben allerdings in der Nähe des Stromes.«
Cinna fröstelte, als ihm in den Sinn kam, dass auch er sich jetzt mit der Ersten Legion auf dem Marsch befunden hätte, wenn nicht …
»Woher wisst ihr das?«
»Späher. Informanten. Spione.« Hraban zuckte die Achseln. »Die Marser und Brukterer haben bei Vetera ein paar Trupps über den Rhein geschickt. Aber solange die Chatten sich an ihre Verträge mit euren Leuten halten, muss Lucius Asprenas Mogontiacum nicht sichern und kann sich um den Norden kümmern.«
Asprenas. Dieser wortkarge Kriegsmann, der sich bei den Legionären großer Hochachtung erfreute. Er
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