Der Tribun
der Linie, die Hrabans Arm beschrieb, dorthin, wo sich die weiße Sonnenscheibe hinter den Wolken abzeichnete, nicht der pulsierende, kreiselnde Feuerkreis, der im Sommer hoch über seines Vaters Villa stand. Hraban wandte sich ab und kehrte zu dem Weg zurück, der sie hergeführt hatte.
Glasklar hallten Saldirs Worte in Cinnas Erinnerung wider, ihre vorschnelle Antwort, als er ihre neugierigen Fragen nach den Namen der Götter beantwortet hatte, als er ihr von Iuppiter erzählt hatte, und sie lachend »Thunaras! Das ist Thunaras!« gerufen hatte. Zerstreut krempelte er einen Ärmel hoch und streckte den Arm aus; er zog den Dolch aus dem Gürtel und setzte die spitze Klinge auf die weiche Haut an der Innenseite des Unterarmes. Es war ein sprachloses, inbrünstiges Stoßgebet, das er der blassen Sonnenscheibe entgegenschickte, eine stumme Bitte um Rettung, Befreiung, Erlösung oder Tod – weg, nur weg von hier! –, ehe er mit einem Ruck die Klinge in seinen Arm schneiden ließ.
Der jähe Schmerz überraschte ihn; er stieß den Atem zwischen den Zähnen aus und zog den Dolch zu sich her. Blut quoll unter den Wundrändern hervor, sammelte sich zu einem Tropfen, der warm und zäh über seinen Arm rann, sich wieder sammelte, bevor er auf den unbehauenen Altar fiel. Er ließ das Messer los und quetschte mehr Blut aus der Wunde.
»Cai!«
Alarmiert vom Klirren der Klinge rannte Hraban zum Altar zurück, packte Cinna an den Schultern; er konnte jedoch nicht mehr verhindern, dass sich eine Blutspur mit den modrigen Resten früherer Opfer mischte.
»Wenn das ein Fluch war …«
»Kein Fluch«, presste Cinna hervor. »Ich habe nichts anderes.«
»Warum sagst du nichts? Warum dieser Unsinn? Ich hätte dir –«
»Nein, das geht nicht! Es muss etwas von mir sein.« Cinna drückte die Hand auf den Schnitt, um die Blutung zu stillen.
»Dummkopf!«, raunzte Hraban, riss einen Streifen Stoff von seinem Unterhemd und wickelte die eine Hälfte zu einem dicken Knäuel auf.
Vorsichtig bewegte Cinna die Finger und atmete erleichtert auf. Muskel und Sehnen schienen unverletzt.
»Dummkopf!«, wiederholte Hraban ärgerlich.
Er zog Cinnas verletzten Arm zu sich her, schob die Hand weg und bedeckte die Wunde mit dem Knäuel.
»Halt’s fest!«, murrte er. »Ich weiß, dass du nach Hause willst – wir alle wissen das. Aber es ist nicht möglich. Vielleicht eines Tages, wenn deine Leute gesprächsbereit sind. Du wirst Geduld haben müssen.«
Er wickelte unbeholfen einen Verband um Cinnas rechten Unterarm.
»Das wird reichen, bis wir zuhause sind. Mutter wird es sich ansehen.« Und als Cinna trotzig den Kopf zurückwarf: »Keine Widerrede! Du bist immer noch sehr wertvoll für uns – auch wenn eure Legaten nicht verhandeln wollen.«
Sie waren noch vor Mittag zum Anwesen zurückgekehrt. Im Haus entfernte Thauris den Verband und winkte ab, nachdem sie den Schnitt betrachtet hatte. Die Blutung war bereits versiegt, die Wunde erforderte keine Behandlung. Sorgfältig legte Thauris einen neuen Verband an.
»Damit kein Schmutz hineingerät«, murmelte sie und hatte den Satz noch nicht beendet, als Liuba eintrat und sich mit wenigen großen Schritten zu ihnen gesellte.
»Hat sich das kleine Mädchen weh getan?«, höhnte er.
Da er keine Antwort erhielt, baute er sich mit einem leeren Becher zwischen seiner Mutter und Swintha auf; die Magd huschte mit dem Gefäß zum Herd, um es mit Beerensud aus dem Kessel zu füllen. Liuba zupfte grob an dem Verband.
»Ist das nötig, Mutter? Er ist ein Unfreier und keines deiner Kinder.«
»Du weißt, dass ich in diesem Haus alle gleich behandle, Liuba«, erwiderte Thauris, ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen.
»Gut, dann wird er jetzt mein Pferd abzäumen. Und außerdem …« Er wies auf den Dolch in Cinnas Gürtel. »Was ist das?«
Rasch trat Hraban zu ihnen, nahm die Waffe an sich. »Ich habe ihn mitgenommen, als ich zum Hain ging.«
»Und was sollte er dort mit einem Messer?«, versetzte Liuba. »Du siehst doch, dass er sich damit nur weh tut.«
Cinna fühlte den Zorn auf seinen Wangen glühen; er riss sich von Thauris los und wollte zur Tür hinaus, doch Liuba packte seinen Arm und krallte die Finger schmerzhaft um die frische Wunde.
»Die Geisel wird nur noch ein einziges Mal diesen Hof verlassen«, knurrte er hart. »Und das wird sehr bald sein!«
»Das wird nie sein!«, rief Hraban aufgebracht.
In diesem Moment schob sich Thauris zwischen sie. »Ruhe! Ihr werdet den Frieden
Weitere Kostenlose Bücher