Der Tribun
Geisel gerne einstreichen würden. Sunja kauerte fröstelnd auf dem Karren und hatte ein Auge auf die beiden Krüge, während Cinna das Zugpferd führte.
Als sich der Wald hinter einer Wegbiegung öffnete, erblickte Cinna eine Gestalt, eine Frau im weiten Rock, die ihnen winkend entgegenrannte. Swintha. Hraban stutzte, doch als er den Ausdruck in ihren Zügen sah, erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht, und er eilte zu ihr.
In einiger Entfernung blieb das Mädchen stehen und wartete. Als Hraban sie erreichte, knurrte er sie halbherzig an, doch sie fiel ihm nur stürmisch um den Hals, drückte ihm herzhafte Küsse auf die Wangen, bis er die Umarmung erwiderte, lachte und sie wiederküsste.
Hraban und Swintha bummelten mit dem Fuchs weit hinter dem Karren her, die Hände fest verschränkt, die Köpfe zusammengesteckt, und flüsterten. Das Mädchen sonnte sich in Hrabans Gegenwart, ihre Wangen erblühten.
Sunja war vom Wagen gesprungen, Fetzen von Laub und dünne Zweige in den Falten von Umhang und Rock, im Arm einen Korb, so schlenderte sie den holprigen Weg entlang, roch an späten Kräutern und Blumen, die sie unterwegs pflückte, und zog deren Duft wie einen Schleier hinter sich her. Cinna folgte ihr, und da Hraban nicht da war, ihn abzulenken, schweiften seine Gedanken frei umher, gerieten in das Gespinst dieses Schleiers und verfingen sich darin. Er mochte den Blick starr vor sich auf den unebenen Boden richten, doch sooft er aufschaute, sah er sie vor sich, ihren leichten Gang, die wippenden, lose geflochtenen Zöpfe, die ihr den halben Rücken hinunterfielen, den biegsamen Körper. Und er hörte, wie sie leise und zufrieden vor sich hinsummte. Seine Sinne waren geschärft wie die eines Kindes, das eine Strafe befürchten muss, und zugleich fühlte er sich dem, was er wahrnahm, hilflos ausgeliefert.
Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen, um auf das nachfolgende Paar zu warten, das nach einer Weile gar nicht mehr auftauchte. Sie hatte aufgehört zu summen, zog die Schultern hoch, und ihre Miene verhärtete sich.
»Wir müssen auf sie warten«, murmelte sie schließlich, ohne ihn anzusehen.
Verdrossen senkte Cinna den Kopf, und seine Beine griffen weiter aus als notwendig.
»Halt! Wo willst du hin? Ich sagte, wir müssen auf sie warten!«
Er verlangsamte seine Schritte widerwillig, drehte sich schließlich nach ihr um. Sie war stehen geblieben, blickte zurück und hatte den Kopf lauschend schräg gelegt. Als er seinem Unmut mit einem leisen Schnaufen Ausdruck verlieh, sah sie ihn fragend an.
»Sie kennen den Weg«, murrte er. »Komm schon! Es wird bald dunkel.«
Doch anstatt sich von der Stelle zu rühren, ließ sie den Blick schweifen, legte den Kopf in den Nacken und schaute stumm in das durchbrochene Gewölbe des Waldes, stand ganz still da, angespannt, als wollte sie sich auf die Zehenspitzen erheben. Dann tat sie einen einzelnen kleinen, tänzelnden Schritt, rückwärts, achtete nicht auf ihre Füße, sondern betrachtete das kahle Astgewirr und den kaltblauen Himmel darüber. Befremdet musterte Cinna sie, als sie an seine Seite trat und auf die Baumkronen wies, die sich über ihnen wölbten. »Schau, solche Hallen können Menschen nicht bauen …«
Er wollte widersprechen, wollte vom Tempel aller Götter erzählen, den Marcus Agrippa in Rom hatte errichten lassen, vom Parthenon in Athen, von Delphi, Ephesos, Paestum. Stattdessen sah er sie nur verstohlen an, während sie dicht bei ihm stand, so dicht, dass sie ihn beinahe berührte, und in die sich sanft wiegenden Zweige blickte, während die Sonne ihr letztes Licht über den Wipfeln verströmte. Er wagte kaum zu atmen.
Als sie unwillkürlich seinen Arm streifte, schrak sie zusammen, und in seine Augen fiel ein sonderbar zerstreuter Blick. Hastig entfernte sie sich ein, zwei Schritte, schaute den Weg hinauf und hinab. Ihre Finger krampften sich um den Griff des Dolches, den sie am Gürtel trug. Welcher Leichtsinn mochte Hraban veranlasst haben, seine Schwester mit ihm allein zu lassen? Er hatte sie schon einmal niedergeschlagen, er könnte es wieder tun, sie entwaffnen …
Was würde er erreichen? Flucht. Flucht durch Wälder, in denen tausende von Augenpaaren nach ihm Ausschau hielten. Hraban hatte den Fuchs und er nur diese alte Mähre. Und er war in keiner guten Verfassung. Wortlos drehte er sich um und setzte seinen Weg fort.
Wo der Wald sich lichtete, wuchsen am Wegrand einige verkümmerte Apfelbäume, in deren Kronen sich struppige Kugeln
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