Der Tribun
an die diesen Ort beseelenden Nymphen – oder wie immer die Wilden diese Wesen nennen mochten. Vielleicht, vielleicht war er tatsächlich erhört worden.
*
Hufschlag und rasselndes Metall kündigten ein großes Fuhrwerk an, das sich den Hang hinaufkämpfte. Von Haus zu Haus flogen Rufe, ein kleiner Junge rannte zu Inguiotars Haus und schrie immer wieder ein einziges Wort. Das ganze Dorf strömte hinter dem großen Zweispänner durchs Tor, und kaum blieben die Tiere stehen, drängten sich die Menschen lärmend um den Wagen, bis ein hagerer Kerl sie beiseite winkte, damit sein beleibter Meister absteigen konnte.
Cinna hatte die Ankunft aus vorsichtiger Entfernung beobachtet; Besuch hatte für ihn bislang nichts Gutes bedeutet. Der Wagen gehörte offenkundig einem reisenden Händler, der hier Halt machte, um seine Waren loszuschlagen. Als Thauris dem Fremden entgegentrat, bildeten die Menschen bereitwillig eine Gasse,
Saldir rannte winkend auf Cinna zu.
»Komm!«, rief sie schon von weitem, blieb stehen und winkte mit beiden Armen. »Komm her!«
Ungeduldig hüpfte sie auf der Stelle, während er sich zögernd näherte, streckte ihre Hand aus, um seinen Armel zu fassen, und zerrte ihn zu dem Fuhrwerk.
»Kein Öl, kein Wein, kein Erz.« Mit erhobenen Händen zeigte der Händler Thauris sein Bedauern. »Nichts dergleichen. Die Quellen sind versiegt. Macht Frieden mit den Römern, dann wird es das alles wieder geben – oder wartet ein paar Jahre.«
»Und Salz?«
»Zwei Krüge konnte ich für euch retten.«
»Konntest du für uns retten?« Sie zog eine Braue hoch. »Haben sie dich unterwegs ausgeraubt, Balor?«
Der Dicke seufzte achselzuckend. »Das Reisen wird gefährlicher, Herrin, und dadurch wird alles teurer.«
Sein hagerer Begleiter kletterte auf die Ladefläche und verschwand unter der Plane. Als er mit zwei großen, verschlossenen Krügen wieder erschien, fiel sein Blick auf Cinna. Er stutzte, dann stieg er vom Wagen und schlurfte mit den Gefäßen zu seinem Herrn, den er auf seine Entdeckung aufmerksam machte. Cinna hob den Kopf und zog eine undurchdringliche Miene, als er Balors halbseitiges Grinsen gewahrte.
»Herrin, ihr habt nicht vor, diesen Knecht zu verkaufen? Ich könnte euch einen guten Preis machen.«
Mit leicht schräg gelegtem Kopf starrte Thauris den Händler an, der den Gefangenen musterte und langsam näher trat.
»Seine Familie würde ein hübsches Lösegeld bezahlen«, fuhr Balor fort. »Wenn ihr wollt, stelle ich mich als Vermittler zur Verfügung. Ich habe Beziehungen bis nach Syria und Africa. Da werde ich wohl auch die Familie eines kleinen Legionärs ausfindig machen können, wenn ich den Namen kenne.«
»Er ist kein kleiner Legionär!«, versetzte Saldir patzig.
»So? Ein Offizier?«
Der Händler griff nach Cinnas Arm, doch Cinna schüttelte ihn ab und wich einen Schritt zurück.
»Lass ihn in Ruhe, Balor«, sagte Thauris. »Er ist nicht verkäuflich. Zeig mir lieber, was du sonst noch für uns retten konntest.«
»Es war ja nur ein Vorschlag.« Wieder hob der Händler beschwichtigend die Hände. »Aber einen guten Rat gebe ich euch trotzdem: Diesen blöden Stolz müsst ihr gründlicher aus ihm herausprügeln.«
»Was redest du? Die meisten deiner Lieferanten sind Römer.«
»Römische Bürger, ja, genau wie ich selbst – aber was ist der da noch?« Balors Daumen fuhr nach hinten, wies auf den Gefangenen. »Sie haben alle Angehörigen der drei geschlagenen Legionen für tot erklärt. Keine Verhandlungen, keine Zugeständnisse gegen Geiseln. Das verkünden sie überall. Wenn ihr ihn behalten wollt, ist er nur als Arbeitskraft nutze.«
»Sie werden verhandeln, Balor. Lass den Winter vorübergehen – und was sie auf dem Forum verkünden, ist nicht unbedingt das, was sie insgeheim tun.«
»Wenn du etwas weißt, Herrin, solltest du es mir nicht verhehlen. Die anderen Edlen und besonders die Chatten hungern nach Neuigkeiten.«
Die Menschen um Thauris gerieten in Bewegung. Hraban war unbemerkt hinzugetreten und legte seine Hände um ihre Oberarme.
»Wir müssten dumm sein, einem fahrenden Händler preiszugeben, was wir wissen.« Er grinste Balor an. »Genieße unsere Gastfreundschaft. Erzähle uns, was es Neues gibt in der weiten Welt. Und bringe die Kostbarkeiten mit hinein, die du unter deiner Plane versteckst.«
Sie zogen sich ins warme Haus zurück, an den Tisch, um zu essen, zu trinken und Neuigkeiten auszutauschen, die man Fremden gefahrlos anvertrauen konnte.
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