Der Tristan-Betrug
Körper. »Oh, dieser Bart ... Mir kommt's vor, als würde ich von Rudolf geküsst, und das ist ein schreckliches Gefühl! Bitte, du musst diese Maskerade sofort abnehmen!«
Metcalfe lächelte nur. Obwohl er liebend gern alle Zeit, die Lana erübrigen konnte, mit ihr verbracht hätte, war er sich darüber im Klaren, dass er nicht lange würde bleiben können.
Je länger er hier verweilte, desto größer war die Gefahr, verhaftet zu werden. Er würde bald gehen müssen, und dann würde die Verkleidung sich als nützlich erweisen. Er schenkte Lana die Matrjoschka-Puppe, die er für sie gekauft hatte. Sie freute sich sichtlich darüber, aber ihre Miene verfinsterte sich rasch wieder.
»Ich habe Angst, Stiwa.«
Das sah er in ihrem Blick. »Wovor?«
»Vor dem, was wir tun.«
Er konnte die in ihm aufwallenden bitteren Schuldgefühle kaum verbergen, als er sagte: »Dann solltest du's nicht tun. Wenn es dich ängstigt, möchte ich nicht, dass du Rudolf von Schüssler diese Dokumente gibst.«
»Nein, du verstehst mich falsch. Du hast mich aufgefordert, tapfer zu sein. Etwas für meinen Vater und für Russland zu tun. Ebenso tapfer, wie mein Vater für Russland gekämpft hat. Du hast mir eine Chance gegeben, tapfer zu sein. Du hast meinem Leben einen höheren Zweck gegeben.«
»Wovor hast du dann Angst?«
»Ich darf mich nicht wieder in dich verlieben. Du hast mir das Geschenk deiner Liebe gemacht, mein Stiwa. Aber für uns gibt's keine Hoffnung. Keine gemeinsame Zukunft. Ähnlich wie in dem Ballett Giselle.«
»Wie das?«
»Nun, Giselle ist ein Bauernmädchen, das sich in einen verkleideten Edelmann verliebt, der sich als einfacher Mann ausgibt. Und als sie die Wahrheit erfährt, weiß sie, dass sie ihn niemals heiraten kann, und verliert deshalb den Verstand und stirbt.«
»Gebe ich mich als jemand anderes aus?«
»Sieh dich doch an!«
Metcalfe schmunzelte. » Touché! Aber du wirst nicht verrückt, stimmt's?«
»Nein«, sagte sie. »Das kann ich nicht. Ich muss für das Geschenk deiner Liebe leben.« »Aber es ist kein Geschenk, Lana.«
Sie betrachtete geistesabwesend den kleinen Stapel Dokumente; doch Metcalfe sah ihr an, dass sie an etwas anderes dachte. »Ja, du hast Recht«, sagte sie schließlich.
»Wir sind nicht Figuren aus Giselle. Wir sind Tristan und Isolde.«
»Die beiden legendären Liebenden.«
»Die beiden unglücklichen Liebenden, Stiwa. Vergiss das nicht. Sie können nur im Tod zusammenkommen.«
»Also gut. Du bist die schöne, leidenschaftliche Isolde, die Zauberin und Heilerin. Und ich bin Tristan, der Ritter, der sie liebt.«
Sie lächelte eigenartig. »Tristan arbeitet in Wirklichkeit für seinen Onkel, den König. Er verrät ihn, Stiwa. Er reist unter falschem Namen - unter dem Namen Tantris, ein Anagramm für Tristan -, aber Isolde liebt ihn trotzdem.«
»Aber sie verrät er nicht, stimmt's? Er liebt sie - und er tut nur seine Pflicht.«
»Ja. Liebe handelt immer von Verrat und Tod, nicht wahr?«
»Nur auf der Bühne. Nicht im richtigen Leben.«
Lana hatte feuchte Augen. »Der Liebestrank in Tristan und Isolde ist gefährlicher als jedes Gift, Stiwa.« Sie ergriff das Päckchen mit Dokumenten und hielt es hoch, als zeige sie es ihm. »Sagt an, mein Ritter: Seid Ihr Eurer Liebe treu ... oder Eurem König?«
In seiner Verlegenheit wusste Metcalfe nicht, was er antworten sollte. Zuletzt sagte er impulsiv: »Ich liebe dich, das weißt du.«
Sie warf ihm einen kummervollen Blick zu. »Das macht mir am meisten Sorgen«, sagte sie.
Kapitel Vierundzwanzig
Der Laden war berstend voll und staubig, seine Vitrinen in wüstem Durcheinander mit Silber, Schmuck und Kristall voll gestopft. Auf Wandregalen standen dicht gedrängt altes Porzellan, Silberleuchter und Leninbüsten. Dies war aber weder ein Antiquitätengeschäft noch ein Pfandhaus, sondern ein Zwischending: ein komissiony, ein Gebrauchtwarenladen am Arbat, einer der ältesten Straßen Moskaus. Auf seinen schmalen Gängen drängten sich Kunden, die auf Schnäppchensuche waren oder Mamas kostbaren Silbersamowar verscherbeln wollten, um einen finanziellen Engpass zu überbrücken.
Im Stimmengewirr und dem lebhaften Treiben blieben zwei Männer unbemerkt, die nebeneinander stehend eine Ikone betrachteten. Der eine wirkte wie ein russischer Arbeiter Mitte dreißig; der andere war ein älterer Mann, der zu einem ausländischen Mantel eine russische Pelzmütze trug.
»Hätte Sie fast nicht erkannt«, sagte Milliard
Weitere Kostenlose Bücher